09 _ Exkurs: Zum Begriff der Simulation |
Der Begriff der Simulation bezeichnet, folgt man der Bedeutung des lateinischen "simulatio", zunächst eine Nachahmung. Als eine solche kann die Simulation als modellhafter Stellvertreter für das nachgeahmte, reale oder gedachte Objekt fungieren. Dies gilt besonders im Rahmen wissenschaftlicher Experimente, die auf eine Erkenntnis über das simulierte Objekt oder an ihm ablaufende Prozesse zielen. Teilaspekte der Wirklichkeit werden dann nachgebildet, um am Modell Experimente oder Messungen möglich zu machen, die am realen Objekt nicht oder nur unter großem Aufwand oder Risiko durchführbar wären. So leisten Computersimulationen häufig die Nachahmung realer Prozesse auf der Grundlage mathematischer Modelle. Die VDI-Richtlinie 3633 definiert entsprechend: "Simulation ist ein Verfahren zur Nachbildung eines Systems mit seinen dynamischen Prozessen in einem experimentierbaren Modell, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die auf die Wirklichkeit übertragbar sind. Im weiteren Sinne wird unter Simulation das Vorbereiten, Durchführen und Auswerten gezielter Experimente mit einem Simulationsmodell verstanden. Mit Hilfe der Simulation kann das zeitliche Ablaufverhalten komplexer Systeme untersucht werden." › [21] Simulation bezeichnet also sowohl das Modell eines Objektes als auch die an diesem durchgeführten Experimente. Die Modellierung umfasst bei der Simulation das Umsetzen eines existierenden oder gedachten Systems in ein experimentierbares Modell, das auch als "vereinfachte Nachbildung" definiert wird. › [22] Entsprechend bilden in Wissenschaft und Produktentwicklung Simulationen meist nur diejenigen Eigenschaften eines Objektes oder Prozesses ab, die für eine angestrebte Erkenntnis relevant sind. Sie bleiben daher häufig abstrakt und gleichen dem Gegenstand oder Prozess, den sie abbilden, nur in einigen Aspekten. Eine Verwechslung der Simulation mit dem Realen durch einen Beobachter bleibt somit in diesen Fällen ausgeschlossen.
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In anderen Kontexten hingegen werden Simulationen nicht, oder nicht nur, mit dem Ziel erstellt, neue Erkenntnisse über das nachgebildete Objekt zu erhalten, sondern (auch) um Drittpersonen am Modell ein sinnliches Erlebnis zu ermöglichen, das demjenigen in der nachgebildeten Realität gleicht. In diesen Fällen werden die sensuell erfahrbaren Eigenschaften - besonders häufig die visuelle Erscheinung - statischer Objekte, Gebäude und Umgebungen oder auch dynamischer, sich entwickelnder Situationen simuliert.
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Werden die sinnlich erfahrbaren Eigenschaften eines Objektes erfolgreich nachgeahmt, so kommt es leicht zur Illusion seiner tatsächlichen Anwesenheit. Die Simulation erzeugt den Eindruck, als ob das nachgebildete reale oder erdachte Objekt präsent sei. Hier kommt eine zweite Bedeutung des "simulatio" zum Tragen: der "falsche Schein", die "Vortäuschung". Diese zweite Bedeutung bezieht sich auf einen Aspekt der Wahrnehmung von Simulationen, nämlich auf ihre von einem Beobachter subjektiv erlebte Verwechslung mit dem Realen. Gleicht eine Simulation dem nachgeahmten Objekt, zum Beispiel im Modus der Sichtbarkeit, fast vollkommen, so "gibt" sie optisch "vor", dasjenige zu sein, was sie simuliert. Entgegen der Vorstellung vom Modell als "vereinfachter Nachbildung" läuft die Simulation hier Gefahr, nicht als "Bild", sondern als das Reale oder - so Platon - als ein "zweites Gleiches" wahrgenommen zu werden. › [23] Der Begriff der Immersion steht in diesem Zusammenhang für die subjektive Empfindung des scheinbaren Eintauchens (oder der scheinbaren körperlichen Präsenz) des Wahrnehmenden in eine virtuelle Welt. › [24]
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Durch die Simulation der sinnlichen Erfahrbarkeit eines Objektes wird die Vermittlung einer Erfahrung, von Wissen oder auch das Training von Fähigkeiten angestrebt. So finden solche digitalen Modelle zum Beispiel eine Verwendung in Fahr- oder Flugsimulatoren. Dort wird mittels einer entsprechenden Schnittstelle eine aktive Einflussnahme durch den Teilnehmer auf den Ablauf der Simulation ermöglicht. Es wird anhand des simulierten Erlebnisses ein Verhalten geprobt, bevor es in der Realität angewendet wird. Zahlreiche Computerspiele, im Besonderen die Klasse der so genannten Ego Shooter- oder Ballerspiele, setzen Simulationen auf ähnliche Weise ein. Als Game Engine agierende Programme ermöglichen auch hier eine häufig komplexe Interaktion mit der simulierten Umgebung und einzelnen digitalen Objekten. (Werden die meisten Spiele am Bildschirm gespielt, so umgibt in - auch in Industrie und Forschung eingesetzten - Virtual Environments die Simulation den Teilnehmer räumlich. Ein Mixed-Reality-Spiel wiederum wie › RV Border Guards ergänzt die reale Umgebung um virtuelle Objekte.)
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In vielen anderen Präsentationskontexten digitaler 3D Modelle beschränken sich die Interaktionsmöglichkeiten des Betrachters jedoch auf Blickpunktwechsel. Beispiele sind das in QuickTime VR Panoramen ermöglichte Umherschweifenlassen des "Blicks" von einem festen Standpunkt aus oder ein visuelles "Durchschreiten" oder "Durchfliegen" einer (zum Beispiel in der internetkompatiblen Virtual Reality Modeling Language VRML) simulierten Umgebung.
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Auch der digitale Animationsfilm und die digital erstellte Bildsequenz im Spielfilm bedient sich häufig dreidimensionaler Computermodelle der dargestellten Orte, Objekte und Figuren. So handelt es sich etwa um Kamerafahrten durch digital erbaute Umgebungen und um simulierte Bewegungsabläufe. Nicht nur im Unterhaltungsgenre, sondern auch bei Versuchen einer filmischen Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte finden diese Techniken der Computervisualisierung breite Verwendung. Dies reicht von Lehrfilmen, die auf relativ einfache, oft abstrakte Weise bestimmte Prozesse darstellen, bis hin zu aufwändigen, fotorealistischen Filmproduktionen im Sinne des kommerziellen Infotainments. › [25]
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Die Hintergründe der Generierung von Simulationen variieren somit in graduellen Abstufungen zwischen der Verwendung abstrakter Modelle im Bereich der wissenschaftlichen Erforschung der Eigenschaften und des Verhaltens von Systemen über ihren Einsatz im Sinne einer experimentellen Rekonstruktion der (sinnlich erfahrbaren) Gestalt von Objekten und dem Ziel einer anschaulichen Vermittlung solcher Inhalte bis hin zu der Sehnsucht nach einer sinnlichen Erfahrbarkeit des Vergangenen, Entfernten oder Fiktiven. Durchaus können sich aber unterschiedliche dieser Aspekte in ein und demselben Simulationsprojekt verbinden. Dort zum Beispiel, wo das Forschungsinteresse der äußeren Gestalt eines Objektes gilt, fallen das Streben nach Erkenntnis und nach Vermittlung eines (visuellen) Eindrucks zusammen.
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[21] Vgl: VDI (Hrsg.): Simulation von Logistik-, Materialfluss- und Produktionssystemen -Begriffsdefinitionen. VDI-Richtlinie 3633, Verein deutscher Ingenieure (VDI), Berlin 1996. [22] a.a.O., VDI-Richtlinie 3633: "Ein Modell ist eine vereinfachte Nachbildung eines existierenden oder gedachten (bzw. vergangenen) Systems mit seinen Prozessen in einem anderen begreiflichen oder gegenständlichen System. Es unterscheidet sich hinsichtlich der untersuchungsrelevanten Eigenschaften nur innerhalb eines vom Untersuchungsziel abhängigen Toleranzrahmens vom Vorbild. Es wird genutzt, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen, deren Durchführung mittels direkter Operation am Original nicht mehr möglich oder zu aufwendig wäre." [23] PLATON: Kratylos, 432b; zit. nach: BÖHME, Gernot: Theorie des Bildes. München 1999, S.24. [24] Zum Immersionsbegriff vergleiche z.B.: GRAU, Oliver: Immersion und Interaktion - Vom Rundfresko zum interaktiven Bildraum. [25] Zu verfolgen zum Beispiel an den Produktionen der BBC. » http://www.bbc.co.uk/sn/prehistoriclife/.
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