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2007/05/11

Cultural Heritage (only available in gERman)

01 _ Kulturvermittlung mit digitalen Medien
02 _ Zum Begriff: Cultural Heritage
03 _ Simulation als Erzählung und Erforschung von Kultur
04 _ Simulation mit Photographie, Film- und Videotechnik
05 _ Computerunterstützte Visualisierung als Forschungsinstrument
06 _ Präsentation der Simulation: Vermittlung und Mediale Inszenierung
07 _ Wissenschaftlichkeit versus Suggestionskraft
08 _ Kritik an der Simulation
09 _ Exkurs: Zum Begriff der Simulation
10 _ Projektauswahl

07 _ Wissenschaftlichkeit versus Suggestionskraft

Die Realisatoren der vorgestellten Projekte wählen unterschiedliche Strategien im Umgang mit der Überzeugungskraft der Simulation. So beschreibt auch Marcus Frings, Leiter des Projektes Sternkirche, die Suggestionskraft der virtuellen Bilder: "Die illusionistische Erscheinung lässt auch hypothetische Rekonstruktionen als gesichert und endgültig erscheinen, fixiert Unsicheres. Dabei ist jede Rekonstruktion auch eine Konstruktion. Und der lange Prozess, der erst zu diesem Vorschlag geführt hat, ist unsichtbar, ein Bild steht am Ende." › [11]
Der Kunsthistoriker begegnet dieser Problematik mit einer ausführlichen Darlegung der Quellen und der zur realisierten virtuellen Rekonstruktion führenden Argumentation. Damit präsentiert sich das Projekt › Sternkirche als streng wissenschaftlicher Beitrag. Auch die am Modell durchgeführte Simulation der Raumakustik wird nachvollziehbar erläutert. › [12] Frings hebt hervor, dass es gelungen sei, "den Entwurfsprozess der Sternkirche sichtbar zu machen. Alle für die Simulation wichtigen Fragen wurden recherchiert und diese Recherche in der Web- und CD-Präsentation dokumentiert: Statik, Konstruktion, Materialien, Oberflächen, Orgel."

Das frühe, von Gerhard Schmitt geleitete Projekt zur virtuellen Rekonstruktion der antiken Stadt Aventicum (› Aventicum) wählt eine andere Strategie. Hier betont ein bewusst gewählter hoher Abstraktionsgrad den Modellcharakter der Simulation. Schmitt: "Es war nicht Ziel des Kurses, eine exakte archäologische und historische Rekonstruktion zu versuchen. (...) Vielmehr bestand die Aufgabe darin, die antiken Bauherren und Architekten zu verstehen und eine architektonische Rekonstruktion vorzuschlagen. Dazu setzten wir neue Methoden ein, in denen der Modellcharakter des Entwurfs im Mittelpunkt stand." › [13]
Im Unterschied hierzu strebt das ehrgeizige Projekt › Synagogen in Deutschland der TU Darmstadt eine möglichst detailreiche Darstellung an. Die naturalistischen, dreidimensionalen Modelle haben während ihrer Erstellung eine Beschäftigung mit zahlreichen Detailfragen gefordert. Auch dieses Projekt legt die Quellen, auf denen die virtuelle Rekonstruktion basiert, offen. Pläne und historische Fotos sind neben den graphischen Rekonstruktionen abrufbar und einzelne Computerzeichnungen werden bildlich zu den ihnen zugrunde liegenden Quellen in Verbindung gesetzt. Dennoch macht der Leiter des Projektes, Manfred Koob, folgende Einschränkung: "Rekonstruieren heißt 'den ursprünglichen Zustand wiederherstellen oder nachbilden'. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Dies ist mit unserem Vorhaben nicht gemeint." › [14] So geht Koob von einer, auf der Sterilität und Leblosigkeit der graphischen Rekonstruktionen beruhenden, Abgrenzung der digitalen Simulation vom Realen aus. Er schreibt: "Und dennoch sind es Bilder, die unbewusst digitalen Grabmälern gleichen, Bilder, denen das Leben fehlt. Sie weisen uns hin auf eine irreversible Zerstörung, geben uns lediglich eine Illusion, dauernde Gegenwart erzeugen zu können." › [15]
Einen deutlich anderen Ansatz zeigt das Schweizer MIRALab. Es leistet einen besonderen Beitrag in der Optimierung der Animationen graphisch erstellter Figuren in Echtzeit. (› LifePlus) Das Konzept der virtuellen Belebung und einer Informationsvermittlung im Sinne einer figurativen Narration führt hier zu einer Betonung der fiktionalen Aspekte der Simulation. Die Visualisierung ermöglicht aber eine Unterscheidung und einen Vergleich von realen, erhaltenen archäologischen Funden und rekonstruierten Bauten und Fresken, beziehungsweise den rein fiktiven Simulationen antiken Lebens.
Eine vergleichbare Differenzierung ist auch angesichts der temporären Überlagerung von Fassadenteilen der Kathedrale von › Amiens mit einer rekonstruierten Farbfassung möglich. Die Autoren dieses Projektes betonen, dass es sich um eine so weit wie möglich an das historische Original angenäherte Re-kreation, also eine "Wiederschöpfung", nicht aber um eine genaue Wiederherstellung handelt: "Il s´agit donc d´une re-création (et non d´une restitution) des polychromies la plus fidèle possible à la réalité historique." › [16] Die Präsentation im Rahmen einer zeitlich (durch das Ein- und Ausschalten der Projektion) begrenzten, abendlichen Vorführung weist die erarbeitete Rekonstruktion als eine alternative, nachträglich konstruierte Erscheinungsweise des Bauwerks aus. Der zum aktuellen Zeitpunkt reale monochrome Zustand der Kathedrale bleibt parallel bewusst und kontrastiert schließlich auch wieder sinnlich erfahrbar mit der simulierten Farbigkeit.
Handelt es sich bei digitalen Architekturmodellen meistens um noch nicht realisierte oder vergangene Gebäude, so wurden in einigen Fällen auch virtuelle Modelle bestehender Bauten erzeugt. Das Ziel liegt dann häufig in der Erprobung der Möglichkeiten der verwendeten digitalen Technologien im Hinblick auf eine Vermittlung zum Teil komplexer Information. Während der Besucher des virtuellen › Dom von Siena auf eine Avatarfigur in historischer Kleidung trifft, die ihn durch das Gebäude führt und Informationen erzählerisch vermittelt, setzt ein Projekt zum » Altenberger Dom› [17] auf eine Kombination von interaktiver Visualisierung und Textinformation. Das Projekt › Manhattan Timeformations verbindet die dynamische 3D Simulation des sich entwickelnden Stadtraumes von Manhattan mit abstrakten, meist graphisch dargestellten Zusatzinformationen. Die visualisierte Stadtevolution erhält auf diese Weise für den Betrachter einen erklärenden Kontext.
Die von » Monika Fleischmann und » Wolfgang Strauss entwickelte Installation › Home of the Brain (1991/1992) nutzt VR Technologie, um medientheoretische Inhalte erfahrbar zu machen. Mit Hilfe von Datenhandschuh und Datenbrille bewegt sich der Besucher durch den virtuellen Raum und die dort repräsentierte, kontroverse, auf vier verschiedene Medientheoretiker zurückgehende Gedankenwelt. Eine abstrakte und symbolische Verwendung von Farben und Formen erzeugt hier bewusst eine Distanz zur realen Erlebniswelt. Nach dem Prinzip der Stoa wurde hier ein neuer öffentlicher Raum für Kommunikation geschaffen, der über Datennetze von entfernten Orten zugänglich war.
Neben den vorgestellten Ansätzen sind auch bewusst gezeigte Brüche oder Lücken innerhalb der Simulation oder die unterschiedliche Darstellung stark hypothetischer und gesicherter Rekonstruktionen weitere Möglichkeiten des kritischen Einsatzes der Simulation zur Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte. Aufschlussreich und anregend ist auch die Präsentation mehrerer alternativer - zum Beispiel im Rahmen des Projektes › Virtuelle Archäologie leicht zu erstellender - Visualisierungen desselben Objektes. Ein kritischer Einsatz und Umgang mit der Simulation als Anschauungsobjekt ist immer dort möglich, wo sie nicht primär als Mittel der scheinbar objektiven Darstellung (des "Vorschützens" eines Sachverhalts) verstanden - und präsentiert - wird, sondern vor allem auch als ein virtuelles Modell, das zur Prüfung und Visualisierung von Theorien über das Reale, als Werkzeug also, als Mittel des experimentellen Forschens und der wissenschaftlichen Argumentation, verwendet wird.
[11] FRINGS, Marcus: Der Modelle Tugend. In: ders. (Hrsg.): Der Modelle Tugend. CAD und die neuen Räume der Kunstgeschichte. Weimar 2001, S.9-20, S.15f.
[12] Vgl.: FRINGS, Marcus (Hrsg.): Die Sternkirche von Otto Bartning. Analyse. Visualisierung. Simulation. Weimar 2002.
[13] SCHMITT, Gerhard: Architectura et Machina. Computer Aided Architectural Design und Virtuelle Architektur. Wiesbaden 1993, S.120f.
[14] KOOB, Manfred: Visualisierung des Zerstörten. In: Bonn 2000: Synagogen in Deutschland. Eine virtuelle Rekonstruktion, S.12.
[15] KOOB, Manfred: a.a.O., S.11.
[16] Pressemappe der Patrimoine d'Amiens Métropole 2004.
[17] HOPPE, Stephan: Die Fußnoten des Modells. CAD-Modelle als interaktive Wissensräume am Beispiel des Altenberger-Dom-Projektes. In: FRINGS, Marcus (Hrsg.): Der Modelle Tugend. CAD und die neuen Räume der Kunstgeschichte. Weimar 2001, S.87-102.

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