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08.03.2007

BEGEGNUNGEN AUF AUGENHÖHE

EINE UNTERRICHTSEINHEIT FÜR DIE OBER- UND ABSCHLUSSSTUFE EINER SCHULE FÜR GEISTIGBEHINDERTE

Zum Konzept


Jeder von uns betrachtet die Welt aus seiner subjektiven Perspektive - meistens, ohne darüber nachzudenken. Diese Tatsache führt oft zu Missverständnissen im Umgang mit anderen Menschen, für die ganz andere Dinge "offensichtlich" sind als für einen selbst. Das Projekt "Begegnungen auf Augenhöhe" soll geistig behinderte Kinder und Jugendliche für die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen sensibilisieren und ihnen adäquate künstlerische Ausdrucksmittel dafür an die Hand geben.
Der Begriff "Augenhöhe" benennt eine klar messbare Größe und bezieht auch die im Begriff "Perspektive" enthaltene philosophische Komponente mit ein. Unterschiedliche Augenhöhe bzw. Perspektive ergibt sind nicht nur daraus, dass die SchülerInnen unterschiedlich groß sind. Ihre Augenhöhe wird auch durch ihre eingeschränkte Bewegungsfähigkeit bestimmt.
So waren im Modellprojekt eine Schülerin im Rollstuhl und ein schwerst behinderter Schüler, dessen Spastik ihn in eine Körperhaltung zwingt, bei der sein Blick ständig an die Decke gerichtet ist, beteiligt.

Die Unterrichtseinheit in Kürze


In der Unterrichtseinheit dokumentieren die Beteiligten ihre Augenhöhe zuerst durch digitale Fotos und im zweiten Schritt mit Videoaufnahmen. Am Ende zeigt eine Ausstellung, bei der die einzelnen Fotos und Videos in der Augenhöhe des Fotografen/Filmers installiert sind, das Projektergebnis. Die BetrachterInnen begeben sich über die Fotos und Videos auf die Augenhöhe der beteiligten SchülerInnen und haben dadurch die Chance, deren Perspektive kennen zu lernen und ihnen wirklich auf Augenhöhe zu begegnen.

ARBEITSPROZESSE

Fotografieren


Nachdem die SchülerInnen Aufnahmen von gemeinsamen Orten (Schulfoyer, Schulhof, Pausenflur mit Kicker, Weg vom Schuleingang bis in die Klasse) gesammelt haben, fotografieren sie bewusst individuell gewählte Motive, z.B. die Perspektive aus dem Rollstuhl, um so beide beschriebenen Aspekte von Augenhöhe zu verdeutlichen.

Die eigene Augenhöhe definieren


Zunächst schneiden die SchülerInnen aus schwarzem Fotokarton Rahmen, die den Bildausschnitt begrenzen. So reduziert sich für sie der normale Weitwinkel-Effekt des menschlichen Auges und die Unterschiede zwischen den Augenhöhen werden deutlich sichtbar. Darüber hinaus bewirkt der Rahmen, der auch auf den Fotos erkennbar ist, dass für die BetrachterInnen der bewusst gewählte Ausschnitt als künstlerische Leistung erkennbar bleibt. Außerdem helfen die Rahmen aus Karton durch die Befestigung an entsprechend langen Holzstäben, die gewünschte Höhe einzuhalten: die eigene Augenhöhe muss nicht immer neu gemessen werden, stattdessen kann die Kamera am Rahmen ausgerichtet werden. Dadurch definiert sich auch der Blickwinkel genau. Wir beschränken uns auf die Sicht geradeaus mit gerade gehaltenem Blick. Nachdem die SchülerInnen ihre Fotos gemacht und ausgedruckt haben, werden sie in Vorbereitung der Ausstellung an der Wand im Projektraum in der jeweiligen Augenhöhe befestigt. So erhalten die Kinder und Jugendlichen Gelegenheit, ihre Aufnahmen miteinander zu vergleichen und die Sichtweise von anderen kennen zu lernen.

Die Blickrichtung anderer erkunden


Im Modellversuch wird ein schwer behinderter Schüler als Gast einbezogen. Dieser ist selbst kaum zu einer Äußerung seiner Befindlichkeit in der Lage; was er visuell wahrnimmt, ist nicht bekannt. Seine MitschülerInnen erkunden seine Blickrichtung und versuchen, diese mit einem Kartonrahmen zu fixieren. Dann fotografieren sie, was man sieht, wenn man in die gleiche Richtung schaut. Dazu müssen sie ihren eigenen Blickwinkel verlassen und seinen einnehmen.

Im zweiten Teil dokumentieren die SchülerInnen mit › Videoaufnahmen, wie sie ihre Umgebung wahrnehmen. Gegenüber der Fotografie bietet das Medium Video die Möglichkeit, auch Bewegungsbesonderheiten (z. B. ruhiges Rollstuhlrollen, stark athetotische Bewegungen) zu thematisieren, die die jeweilige Sicht auf die Welt beeinflussen. Erst dokumentieren die Beteiligten, wie sie den Weg von der Tür des Schulhauses bis zu ihrem Klassenzimmer wahrnehmen, indem sie ihn aus ihrer Perspektive filmen. Anschließend überlegen sich alle, was sie persönlich am liebsten machen und lassen sich bei der Ausübung dieser Lieblingstätigkeit von einem Mitschüler/einer Mitschülerin aufnehmen.

› Video ohne Ton [RealMedia |2 Min. 18 Sek.]  Dokumentation der Arbeitsprozesse
› Video ohne Ton [Windows Media |2 Min. 18 Sek.]  Dokumentation der Arbeitsprozesse

Die Ausstellung


Zum Abschluss zeigt eine Ausstellung alle Bilder und Videos. Um das Thema Augenhöhe sinnlich erfahrbar zu machen, werden die Arbeiten in den unterschiedlichen Augenhöhen der Beteiligten auf der Wand positioniert. Porträtfotos der SchülerInnen verweisen wie Beschriftungen auf die AutorInnen der Weltansichten.
› Video ohne Ton [RealMedia |2 Min.]  Splitscreen: 4 Perspektiven
› Video ohne Ton [Windows Media |2 Min.]  Splitscreen: 4 Perspektiven

DIDAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN

Sich Zeit lassen


Jede der beteiligten SchülerInnen brachte ganz individuelle Fähigkeiten und Einschränkungen in das Projekt ein, sowohl hinsichtlich vorhandener Kenntnisse im Umgang mit digitaler Technik als auch bezüglich der Bewegungs- und Kommunikationsmöglichkeiten. Um allen Kindern und Jugendlichen Raum und Zeit zum Handeln zu geben, war es günstig, wenn zwei SchülerInnen miteinander mit Unterstützung durch einen Erwachsenen arbeiteten. Durch eine lange Projektdauer war außerdem genügend Zeit, alle Schritte wirklich von den SchülerInnen selbst vollziehen zu lassen. Fotoapparat und Stativ wurden von ihnen selbst eingerichtet, die Fotos formatiert, › ausgedruckt und laminiert, die Videokamera bedient. Im Laufe des Projektes entwickelten die SchülerInnen eine große Sicherheit in den wiederkehrenden Abläufen, sehr selbstverständlich und erfolgreich klickten sie sich z. B. durch die Menüs zur Drucker-Einstellung (wobei sie sich fast ausschließlich an Anfangsbuchstaben oder anhand der Lagebeziehungen der Auswahlmöglichkeiten orientierten). Diese Herangehensweise birgt natürlich auch das Problem, dass SchülerInnen Zeiten erleben, in denen sie auf andere warten müssen und selbst nichts tun können. Besonders einen Schüler, der, teilweise zu Recht, seine technischen Fertigkeiten höher als die seiner MitschülerInnen einschätzte, stellte die Rücksichtnahme auf das Tempo anderer auf eine harte Geduldsprobe. In der Auseinandersetzung mit diesem Aushalten-müssen bot sich jedoch gerade für ihn die Chance, sich der philosophischen Dimension des Projektthemas zu stellen. Er erlebte unmittelbar, dass seine Ergebnisse genauso wertgeschätzt wurden wie die seiner Teamkollegen und dass die Ausstellung gerade durch die individuellen Besonderheiten der Fotos und Filme erst interessant wird.
(Alle Videos sind ohne Ton)

› Video [RealMedia |2 Min.31 Sek. ]  Perspektive (1)
› Video [Windows Media |2 Min. 31 Sek. ]  Perspektive (1)
› Video [RealMedia |14 Min. 17 Sek. ]  Perspektive (2)
› Video [Windows Media |14 Min. 17 Sek. ]  Perspektive (2)
› Video [RealMedia |4 Min. 18 Sek. ]  Perspektive (3)
› Video [Windows Media |4 Min. 18 Sek. ]  Perspektive (3)
› Video [RealMedia |5 Min. 45 Sek. ]  Perspektive (4)
› Video [Windows Media |5 Min. 45 Sek. ]  Perspektive (4)

Projekttagebuch


27 Projekttage sind eine lange Zeitspanne - viel zu lang, um sie im Nachhinein überblicken und detailliert davon berichten zu können. Für die Kinder und Jugendlichen, die in ihrer Kommunikation stark auf Unterstützung angewiesen sind, ist also eine Reflexion nur vorstellbar, wenn schon während des Projektverlaufs ständig Informationen gesammelt und konserviert werden. So beginnt jeder Projekttag mit der Rückschau auf den vorherigen. Während der eigentlichen Projektarbeit ist immer einer der SchülerInnen mit einer zweiten Kamera für dokumentarische Tagebuchaufnahmen ausgestattet. Diese Fotos auszudrucken und mit einer kurzen erläuternden Beschriftung in das eigene Projekttagebuch einzufügen, ist stets der Beginn des neuen Projekttages. Für die SchülerInnen ist dieser ritualisierte Ablauf sehr wichtig und sie blättern gern in den Tagebüchern, um sich an den bisherigen Hergang zu erinnern. Dabei helfen ihnen die Fotos auch, Einzelheiten oder Anekdoten der einzelnen Tage ins Gedächtnis zu rufen.

PARTNER, ORT UND UMFANG DES UNTERRICHTSVERSUCHS

Die Unterrichtseinheit wurde in der Computerwerkstatt der Abschlussstufe an der » Arno-Fuchs-Schule, Berlin entwickelt und erprobt.
Im Projekt arbeiteten sieben Team-Mitglieder miteinander: drei Schüler und eine Schülerin mit geistiger Behinderung; ein schwer mehrfach behinderter Mitschüler, der regulär nicht am Werkstattunterricht teilnimmt; Daniel Stephan, ein freier Filmemacher, der schon oft Projekte mit geistig behinderten Schülern mitgestaltet hatte und Andrea Schenck, eine Sonderschullehrerin, die die Computerwerkstatt leitet. Als Zeitrahmen wurde die Spanne zwischen Sommer- und Herbstferien festgesetzt, insgesamt 27 Projekttage mit zwei bis drei Unterrichtsstunden täglich.

Technik

Einführung von Grundregeln


Im Umgang mit der verwendeten Technik ist es wichtig, bestimmte Sicherheitsregeln zu ritualisieren: Für eine gefahrlose Handhabung von Foto- und Videokamera wird immer der Riemen um den Hals getragen. Außerdem sollten die SchülerInnen lernen, dass sie bei unerwartet eingeblendeten Warnfenstern immer nachfragen müssen und nie gleich auf "OK" klicken dürfen.

Programmbedienung ohne sinnentnehmendes Lesen


Zwei der vier Schüler des Modellprojektes waren nicht in der Lage, Schriftsprache sinnentnehmend zu lesen. Inwieweit es dem dritten, gehörlosen Schüler möglich war, war nicht ganz klar. Auch der vierte Schüler orientierte sich meist eher an wiedererkannten Wortbildern anstatt das ihm zwar mögliche, aber anstrengende Erlesen in Angriff zu nehmen. Die Herausforderung bestand also darin, Abläufe so weit wie nötig zu vereinfachen, um den Schülern trotz dieser Hindernisse möglichst selbständiges Handeln zu ermöglichen.

Digitalkameras und Bildbearbeitungssoftware


Für die Fotoaufnahmen eignet sich die digitale Fotokamera der Marke Sony® MAVICA. Sie ist vergleichsweise groß und auch für SchülerInnen mit feinmotorischen Schwierigkeiten leicht zu bedienen. Zudem werden die Fotos auf 3½ Zoll-Disketten im jpg-Format gespeichert und können ohne Zuhilfenahme zusätzlicher Ausstattung direkt im Computer weiterverwendet werden.
Zum Filmen wurde im Modellprojekt eine Canon® MV 600i auf Mini-DV benutzt.
Als Bildbearbeitungssoftware bietet sich der Picture Publisher 7a von Micrografx® an, den man kostenlos im Internet erhält. Dieses Programm ist im Layout eng an Microsoft® Office-Programme angelehnt und entspricht damit der Zielsetzung, den SchülerInnen möglichst universell anwendbare Grundfertigkeiten im Umgang mit Computern (im Sinne einer Kulturtechnik) zu vermitteln.

Bilder formatieren


Die von der Kamera gespeicherten Bilder sind bei einer Auflösung von 72 dpi etwa 360 x 270 mm groß. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Bildgröße zu verändern. Aus Rücksicht auf die Fähigkeiten der Kinder, werden die Bilder nicht auf die gewünschte Größe, z.B DIN A4 in Millimeter-Angaben umgerechnet, sondern einfach in der Druckvorschau an die Papiergröße angepasst (für Tagebuchfotos DIN A6, für Ausstellungsfotos DIN A4, alle im Querformat).
In der "Seite einrichten"-Funktion im Druckmenü des Picture Publishers besteht die Möglichkeit, die Bilder schrittweise maßstäblich über Pfeiltasten zu vergrößern oder zu verkleinern. Per Mausklick verändern die SchülerInnen die Bildgröße so lange, bis sie möglichst genau auf das Papier passt.
Auf diesem Weg waren alle SchülerInnen der Computerwerkstatt in der Lage, ihre Fotos selbst zu bearbeiten und auszudrucken.

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