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Der Unterrichtsversuch fand an einer dritten Klasse der
» Grundschule Lauerholz
in Lübeck statt. Hier werden Kinder mit Behinderungen oder besonderer Begabung integriert. Die Grundschule ist seit über zehn Jahren für ihre innovative pädagogische Praxis bekannt. Kinder lernen selbstständig und erfahrungsorientiert. Sie lernen viel in gemeinsamer Arbeit in Projekten mit mehreren Bezugspersonen. Der Förderung der körperlichen Ausdrucksfähigkeit und der Arbeit mit digitalen Medien wird ein besonderer Stellenwert beigemessen. Alle Kinder in der dritten Klasse verfügen bereits über umfangreiche Kenntnisse im Umgang mit dem Computer (Schreiben, Scannen, Drucken, CD-ROMs bedienen, Suchen von Informationen mittels Kindersuchmaschinen im Internet, etc.). Dennoch war es für sie neu zu lernen, wie Animationen selbst erstellt und Verhaltenssequenzen in einem Programm zur Bilderkennung programmiert werden. Durch die Koppelung eines
› ikonischen Programmcodes
an multisensuelles Erleben und Gestalten war es für die Kinder möglich, bereits in der dritten Klasse programmieren zu lernen. Es kam zu einem tiefen Verständnis hoch abstrakten Wissens, wie die » Auswertung der Evaluation des Unterrichtsversuchs belegt. Hier zwei Ausschnitte aus den Interviews mit den Kindern: Ein Kind erklärt, was die Bilderkennungssoftware macht: » Video [RealMedia | 30 Sek.] » Video [Windows Media | 30 Sek.] Ein Schüler erklärt, wie mit VisionCommand programmiert wird: » Video [RealMedia | 38 Sek.] » Video [Windows Media | 38 Sek.]
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Fächerübergreifendes Arbeiten |
| Gemeinsames Bemalen der Baumkronen
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Der Computer soll in das alltägliche Handlungsumfeld der Kinder eingebunden sein und nicht im Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Die Verschränkung mit der physischen Welt bei der Erstellung der Animationen und während der Programmierung lässt den Computer selbst gegenüber den Aktionen zurücktreten. Die Bäume in der Animation im Bühnenbildhintergrund werden sowohl als kleine Modelle gebaut als auch in normaler Gräße als reale Kulissen auf der Bühne eingesetzt. Diese werden wiederum digital um das Geräusch des Laubraschelns erweitert. Bei der Erstellung der Animationen erleben die Kinder nicht denjenigen, der am Computer sitzt, als den "Bestimmer", sondern denjenigen, der die Dinge in der physischen Welt manipuliert. » Video [RealMedia | 1 Min.] | » Video [Windows Media | 1 Min.] |
| physikalische Experimente beim Kulissenbau
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Wie in jedem fächerübergreifenden Unterricht sind auch bei einem Projekt mit digitalen Medien eine gute Vorbereitung und laufende Absprachen zwischen den Lehrkräften erforderlich. Die Unterrichtseinheit ist nicht für einen 45-Minuten-Takt geeignet, sondern sollte als projekt- und handlungsorientierter Unterricht stattfinden. Wird den Kindern die Möglichkeit eingeräumt, selbstbestimmt mittels digitaler Medien zu lernen, können sie auch abstrakte Sachverhalte nachhaltig lernen. Die Ergebnisse des Unterrichtsversuchs zeigen, dass digitale Medien nicht isoliert im Unterricht an einer Grundschule vermittelt werden sollen. Wichtig ist es, die digitalen Medien im transdisziplinären Arbeiten als ein Medium unter anderen zu verwenden.
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Selbstbestimmtheit im Unterricht meint, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Unterricht in der Weise vorplanen, dass sie kleine, miteinander arbeitsfähige Gruppen bilden, denen sie spezifische Aufgaben zuweisen. So erhält etwa eine Gruppe die Aufgabe, an der Entwicklung der Geschichte und den Bewegungsabläufen auf der Bühne zu arbeiten, während eine andere Gruppe die physischen Objekte (Bäume, Blitz, Lavabrocken, etc.) und das reale Modell für die Erstellung der Animationen am Bühnenhintergrund nach den Anweisungen der ersten Gruppe gestaltet. Wichtig ist es, dass jede Gruppe jede Funktion einmal übernimmt.
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Wichtig ist auch die körperliche Erfahrung und das sich Bewegen im Kontext der Bilderkennung. Wo sind die virtuellen Raumstellen und wie soll das System reagieren?! Sicherlich könnten den Kindern lediglich Schrittfolgen vermittelt werden. Aber für den kreativen Umgang mit digitalen Medien spielt die Sensibilisierung des eigenen Körper-, Rhythmus- und Klanggefühls eine wesentliche Rolle. Beispielsweise ertasten die Kinder mit verbundenen Augen die Körperstellung von anderen und stellen sie nach. Auch Gesten werden als Spiegelbild imitiert. Die Kinder finden sich in den Rhythmus der Musik ein und bewegen sich zu ihr. Eine Musikpassage inspiriert beispielsweise die Kinder, als Flugdrachen zu "fliegen".
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Während der Proben für die Aufführung und während der Aufführung selbst kommt es zu einem Wechselspiel zwischen den Aktionen und Reaktionen der Kinder und dem digitalen System. Beispielsweise wird, wenn ein Kind mit der orange-farbenen Gießkanne vor die Projektion des Brunnens tritt, durch die Bilderkennung das Geräusch der Brunnenkette aktiviert. Daraufhin zieht ein anderes Kind pantomimisch an der Brunnenkette. Der Eimer in der Animation setzt sich in Bewegung. Das Plätschern von Wasser löst aus, dass das Kind einen Eimer greift und pantomimisch Wasser in die Gießkannen der anderen Kinder füllt. Bewegungen im realen Raum aktivieren durch die Programmierung bestimmte Geräusche, auf die die Kinder wiederum mit bestimmten Bewegungen reagieren. Die Verbindung von Animation, Geräusch und Aktion auf der Bühne wird auch deutlich, wenn die Kinder auf den Vulkan deuten und die Projektion im Hintergrund die Animation des Ausbruchs mit selbsterstellten Geräuschen untermalt. Rote Lavabrocken werden auf der Leinwand aus dem Krater heraus geschleudert, währen handfeste fußballgrosse Lavabrocken auf die Bühne katapultiert werden. Digitale Technologie ist lediglich ein mögliches Medium. Um interaktive Medien begreiflich zu machen, müssen sie in das reale Leben der Kinder eingebettet werden. Körpersprachliche Schnittstellen zu digitalen Systemen ermöglichen, dass Kinder bereits im Grundschulalter Kompetenzen eines kreativen und adäquaten Umgangs mit digitalen Medien entwickeln, dass sie sich zeitgemäß und differenziert in unserer medial geprägten Kultur ausdrücken können.
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Für die Kinder ist ein vorzeigbares Endprodukt sehr wichtig. So sollte es neben der schulinternen Generalprobe auch zur Aufführung vor der ganzen Schule sowie vor einem anderen größeren öffentlichen Publikum kommen. Auch ist es notwendig, dass die Kinder als Multiplikatoren für den Umgang und die Handhabung spezifischer Hard- und Software ernst genommen werden. Gerade die Präsentationen und Erläuterungen von Kindern führen bei den anderen zu einer großen Nachhaltigkeit beim Lernen.
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Die Verknüpfung von realer und virtueller Welt |
Die Musikrevue "Welt der Drachen" besteht aus zwei Mixed-Reality-Elementen:
1. den realen Kulissen, wie Bäumen, Lavabrocken und Gießkannen
2. der interaktiven Bühne, die sich aus der realen Bühne mit virtuellen Raumelementen und der Kulisse mit Rückprojektionen zusammensetzt. Mit der Umsetzung dieses Projektes können die Kinder die reale Welt als Interface zur virtuellen Welt erfahren. Der physische Interaktionsraum wird von den Kindern mit digitalen Daten angereichert und von der Software interpretiert. Die Entdeckung und der Umgang mit dem virtuellen Raum wird auf diese Weise eng mit der realen Umgebung der Kinder verknüpft. Die Kinder lernen selbstbestimmt, spielerisch und hoch motiviert sowohl handwerklich-künstlerische und musisch-ausdruckshafte als auch informatisch-algorithmische Inhalte kennen. Da Kinder heute via Fernsehen, Home-Video etc. mit einer Flut von bewegten Bildern meistens zur Passivität verdammt werden, ist das Selbst-Produzieren ein wichtiger Beitrag zu einem autarken Umgang mit diesen Medien.
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Veröffentlichungen zum Unterrichtsversuch |
Winkler, T., Kritzenberger, H., Herczeg, M.: Collaborative and Constructive Learning of Elementary School Children in Experiental Learning Spaces along the Vituality Continuum, in: Vom interaktiven Werkzeug zu kooperativen Arbeits- und Lernwelten, Berichte des German Chapters of the ACM, Mensch & Computer 2002, Bd. 56, pp 115-124
» [PDF | 395 KB] Winkler, T., Kritzenberger, H., Herczeg, M.: Mixed-Reality Environments as Collaborative and Constructive Learning Spaces for Elementary School Children, in: Proceedings of the World Conference on Educational Multimedia, Hypermedia and Telecommunications, Vol. 2002, Issue. 1, pp. 1034-1039
» [PDF | 337 KB]
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