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Konstruktivismus, Sinnlichkeit und Co-Konstruktion von Wissen Obwohl sich immer mehr Hersteller digitaler Lernmedien auf konstruktivistische Ansätze berufen, scheinen die wesentlichsten Momente konstruktivistisch orientierter Pädagogik außer Acht gelassen: die sinnliche Wahrnehmung und das kooperative Handeln im real physischen Raum. Dies liegt an der dürftigen Konstruktivismus-Rezeption in pädagogischen Ansätzen, die sich mit der Verwendung digitaler Medien beim Lernen beschäftigen. Konstruktivismus wird für gewöhnlich vorrangig auf erkenntnistheoretische Überlegungen reduziert. Bereits in der Reformpädagogik der 20er Jahre › [1] und in der neuen Reformpädagogik nach 1968 › [2] kam es angesichts der Verkürzung auf rein kognitive Momente zu einer Rück- und Neubesinnung auf die Vielzahl unserer Sinne in Lernprozessen. Unser Verständnis konstruktivistischer pädagogischer Theorien knüpft hier an. Der im Projekt ArtDeCom propagierte pädagogische Ansatz steht in der Folge einer kritischen konstruktivistisch orientierten Pädagogik, wie sie jüngst in Deutschland von Michael Göhlich › [3] und Heinz Moser oder - noch spezifischer auch in Bezug zur Verwendung digitaler Medien beim Lernen - in den USA von Seymour Papert › [4] und Mitchel Resnick › [5] vertreten wird. Gemeinsam ist ihnen die besondere Beachtung des Aisthetischen (physisch Wahrnehmbaren) und des kreierenden Handelns bei der abstrakten informatischen Modellbildung. Ihrem Ansatz folgend, gehen wir davon aus, dass das Ausbilden informatischer Handlungskompetenz besser mit aktivem Handeln in realen Kontexten einhergeht. So schaffen im Projekt ArtDeCom SchülerInnen selber digital erweiterte, realphysische Handlungsräume nach gestalterisch-künstlerischen Gesichtspunkten. In den hybriden Räumen stehen den Lernenden eine Reihe unterschiedliche Schnittstellen zum Computer zu Verfügung, die eine Vielzahl ihrer natürlichen Sinne einbeziehen. Wir bezeichnen diese Räume auch als Mixed-Reality-Lernräume (vgl.
» ArtDeCom-MR-Lernräume-Veröffentlichungen [PDF | 337 KB]).
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Pädagogische Überlegungen zur Verwendung spezifischer Hard- und Software Die Programme, die für gewöhnlich auf unseren Rechnern installiert sind, schränken unseren Wahrnehmungs- bzw. Erfahrungshorizont dramatisch ein, da nur wenige Sinne angesprochen werden. Sie transponieren die zu lösende Aufgaben in fragmentierte und dekontextualisierte Arbeitsschritte. In denen geht es vorwiegend um die bloße Akkumulation und Sichtung von Informationen oder um bloße Einzeloperationen. Gerade die Lernsoftware, die sich auf die üblichen traditionellen Ein- und Ausgabegeräte beschränkt, fällt für gewöhnlich zurück in schwache pädagogische Methoden (u.a. Frontalunterricht). Sie stützt sich auf externe Motivation und postuliert Einzelarbeit. Selbst die mehr erfahrungsorientierte Spielesoftware, die im Schulunterricht keine nennenswerte Rolle spielt, reduziert die Lernenden meist auf Personen, die am Computer "gegenüber" der Welt sitzen. Mit traditioneller Lernsoftware oder Computerspielen werden nach wie vor Verhaltensweisen trainiert, die nicht zu eigenständigem Handeln auffordern. Solche Software ist pädagogisch gesehen überholt, weil die lernenden Personen lediglich einem vorgefertigten Programm folgen. Nicht sie selber sondern andere sind die Schöpfer des interaktiven Systems. Nicht nur die Technik, die sie verwenden, bleibt ihnen verborgen, sondern auch die informatischen Prozesse bleiben unerreichbar in der "Black Box" des Computers. Der erzeugt für sie auf unergründliche Weise die virtuelle Welt als schönen aber fragilen Schein. Aus diesem Grund lag unser Fokus beim Lernen mit digitalen Medien auf künstlerisch-ästhetischen Prozessen, d.h. auf multisensuelle Formen der Erfahrung und auf selbständigem Gestalten. In den einzelnen, durch digitale Medien unterstützten Unterrichtsversuchen von ArtDeCom erprobten wir erfinderisches, gemeinsames Lernen mit allen Sinnen, das die informatischen Prozesse mit einbezieht.
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Ästhetische Erfahrung und Modellbildung im pädagogischen Kontext Konsequent versuchen wir die virtuell-digitale und die real-physische Welt möglichst früh durch das Selbsterstellen von Mixed-Reality-Environments und Mixed-Reality-Performances im Schulalltag zu verankern. Die heute zunehmend digital durchsetzte Welt wird für die SchülerInnen besser "begreiflich" und es wird ihnen erleichtert, sich in ihr adäquat zu orientieren sowie zielgerichtet und differenziert zu handeln. In transdisziplinären Projekten, die natur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Fragestellungen in sich vereinigen, knüpfen wir bewusst an aktuelle Lebensfragen der SchülerInnen an, um die Identifikation mit dem Unterrichtsstoff und damit die Motivation zum Lernen zu stärken. In besonderer Weise thematisieren wir die Auseinandersetzung mit der Schnittstelle zwischen Realität und Virtualität. Da die Verbindung von physischer Welt und Digitalität unserer Meinung nach in allen menschlichen Bereichen eine zunehmende Rolle spielt, ist unsere Pädagogik auf die Förderung von Handlungskompetenz ausgerichtet: in ästhetischer Hinsicht durch das Selbst-Gestalten und in informatischer Hinsicht durch das Selbst-Programmieren. Wenn digitale Medien in der Schule verwendet werden, sollte es nicht in erster Linie darum gehen, die digitale Technologie mit den jeweiligen Termini zu beherrschen. Noch weniger darf der Unterricht dazu führen, dass die Lernenden lediglich Aufgabenstellungen nach vorgegebenen Lernmustern bewältigen. Gerade der durch digitale Medien gestützte Unterricht sollte als Co-Konstruktion intersubjektiver Wirklichkeit begriffen werden. Im Kontext sinnlich-anschaulicher Projekte wird theoretische Modellbildung fächerübergreifend reflektiert.
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Gestalten hybrider Erfahrungsräume An den eben benannten Kritikpunkten setzen wir an und möchten zeigen:
¬ | dass die Verwendung digitaler Technologie zur Errichtung interaktiver, hybrider Räume auch mit einem geringen organisatorischen und finanziellen Aufwand möglich ist. Digitale Spitzentechnologie kann, muss aber nicht zum Einsatz kommen. |
¬ | dass die Verwendung von alternativen Schnittstellen möglich ist, um eine natürliche Kommunikations- und Handlungssituation zu erreichen. |
¬ | dass den BenutzerInnen digitale, technische Systeme in verständlicher Weise näher gebracht werden können. Außerdem soll ihnen ein eigener kreativer Spielraum ermöglicht werden, in dem sie lernen, die Interaktivität der Systeme selbst zu programmieren. So können sie Kommunikations- und Verhaltensprozesse modellieren. |
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[1] Piaget, J.: Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde, Stuttgart: Klett-Cotta, 1975 [2] insbesondere Beck, J., Wellershof, H.: SinnesWandel. Die Sinne und die Dinge im Unterricht. Frankfurt/M.: Scriptor, 1989 [3] Göhlich, M.: Konstruktivismus und Sinneswandel in der Pädagogik. In: Aisthesis/Ästhetik - Zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996, S. 231 - 255 [4] Papert; S.: Mindstorms: Children, Computers and powerful Ideas, New York, Basic Books, 1990 [5] Resnik, M., Berg, R., Eisenberg, M., Turkle, S., and Martin, F.:
» Beyond Black Boxes: Bringing transparency and aesthetics back to scientific investigation. International Journal of the Learning Sciences, 1999
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