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2005/01/15

ROSALIND, DAS KATZENKIND (only available in gERman)

DEUTSCHUNTERRICHT FÜR DIE KLASSEN 1 - 6 VON GRUND- UND FÖRDERSCHULEN

Rosalinds Auszug

Intention und Umfang der Unterrichtseinheit


Das Bilderbuch "Rosalind, das Katzenkind" › [1] wird als Inspiration zum Lesen und Schreiben eingesetzt. Die Kinder nehmen verschiedene Perspektiven der Bilderbuchfiguren ein, füllen Schreibblätter aus und kommentieren die Geschichte durch Tonaufnahmen. Dabei erleben sie den Übergang vom eigenen Sprechen zu der multimedial eingebundenen Stimme aus dem Computerlautsprecher.
Je nach Klassenstufe, Lerngruppe und Schulart beansprucht die Unterrichtseinheit einen Zeitraum von ca. zwei bis vier Wochen bei vier oder mehr Wochenstunden.

ARBEITSPROZESSE

1. Vorbereitung: Vorlesen des Bilderbuchs


In dem Bilderbuch "Rosalind das Katzenkind" von Piotr und Józef Wilkon geht es um den Konflikt zwischen einer traditionsbewussten Katzenfamilie und der Tochter Rosalind, die nicht wie ihre vier Geschwister tiefschwarzes, sondern rotes Fell hat und die sich auch nicht so benimmt, wie es sich für ordentliche Katzenkinder gehört: Sie spielt mit Mäusen, trinkt Tee statt Milch, schläft bei dem Hund in der Hütte.

"Das brachte das Fass zum Überlaufen. Eine Freundschaft zwischen Hund und Katze hatte es in einer anständigen Katzenfamilie noch nie gegeben. Am nächsten Morgen sagte Frau Karolina zu ihrer Tochter: "Du bringst unser ganzes Haus in Verruf! Wie kannst du dich bloß mit einem Hund anfreunden?" "Mama", sagte darauf Rosalind, "lass mich bitte gehen. Ich will mein Leben selbst bestimmen." "Aber ich liebe Dich doch!" rief Frau Karolina. "Bleib bei uns, aber benimm dich anders!" "Ich muss gehen", beharrte Rosalind."

Das Bilderbuch enthält eine Fülle von Problemkonstellationen: Anderssein als andere, und zwar im engsten Verbund, in der Familie; Erwartungen nicht entsprechen können; abweichendes Verhalten als Befreiung auf der einen Seite, als Bedrohung gewohnter Sicherheit auf der anderen; groß, erwachsen werden; das Elternhaus verlassen; in die "weite Welt" hinausgehen.
Im Unterricht wird den Kindern die Geschichte so vorgelesen, dass sie jeweils zuerst das Bild sehen, dann den Text dazu hören. Schon im Innendeckel des Buches ist das Thema Anderssein bildnerisch gestaltet: Am Schluss der Ahnengalerie der Katzenfamilie mit weit über hundert Portraits steht das Bild einer kleinen roten Katze.
Es ist eine Besonderheit des Bilderbuchs, dass es Identifikationsprozesse mit unterschiedlichen Figuren nahe legt: Den BetrachterInnen tritt Rosalind nicht nur unmittelbar gegenüber, sondern immer auch gespiegelt in dem, wie die anderen sie und sich selbst sehen. Die einen erleben das Geschehen aus der Perspektive der Eltern und Geschwister, die anderen aus der von Rosalind. Für die Familie geht es um Enttäuschung von Erwartung, um ein Infragestellen des Selbstverständlichen, um Provokation - auch im Hinblick auf die Anerkennung bei den Nachbarn; und es geht um den Konflikt zwischen Elternliebe und Bewahrung der Tradition.

Schreibblatt Klasse 1 - 2
Schreibblatt Klasse 3 - 6

2. Schreibblätter ausfüllen


Die Kinder suchen sich ein Schreibblatt mit der Kopie einer Figur aus dem Bilderbuch aus. Die SchülerInnen der Klassen 1 - 2 erhalten die Aufgabe, einfach aufzuschreiben, was ihnen wichtig ist. Die Kinder der Klasse 3 - 6 müssen zudem eine Auswahl treffen, sich für eine Position entscheiden: Was denkt Rosalind? Was denkt der Vater? Was denkt die Mutter? Was denken die Geschwister?
Eine Vorlage für Schreibblätter für die jeweiligen Klassenstufen können Sie hier als › [PDF | 319 KB] herunter laden.
Schreibend können die SchülerInnen ihr ausgewähltes Bild wieder einfügen in den Zusammenhang, dem es entnommen ist, sie können es aber auch in einen neuen stellen. Immer wählen sie einen Teil der Geschichte aus dem Bilderbuch aus; dabei können sie Formulierungen, die sie beim Vorlesen gehört haben, wiederholen, aufnehmen, verändern, anders kombinieren. Sie haben also Spielräume, ihre Vorstellungen, Erfahrungen und Erinnerungen schriftlich zu artikulieren. Aber sie dürfen die Aufgabe auch deskriptiv behandeln und sich auf die wörtliche Wiedergabe einer Episode oder auf eine Figurenkonstellation beschränken.
Am Ende lesen die SchülerInnen ihre Texte vor und kommentieren die der anderen. Dabei wird in den meisten Klassen eine große Vielfalt von Perspektiven und Urteilen über Rosalinds Andersartigkeit und Emanzipation erkennbar.

Die Ahnengalerie
› Abbildung vergrößern

3. Erweitern der Perspektive: Kommentare zum Geschehen - multimedial


In einem weiteren Schritt wird die Beobachterperspektive ins Spiel gebracht, die "Ahnengalerie".
Die Ahnengalerie kann hier als › PowerPoint [PPT | 1MB] herunter geladen werden.
Die SchülerInnen erhalten die Aufgabe, sich einen Verwandten von Rosalind auszusuchen. Sie bekommen diesen Ahnen auf einer Diskette und können ihn sich auf dem Bildschirm ansehen. Nun startet die Tonaufnahme. Über ein Mikrophon kann jedes Kind einzeln als Ahne auftreten, ihm einen Namen geben und ihn sagen lassen, was er denkt. Wichtig bei der Tonaufnahme ist der richtige Abstand zum Mikrofon. Es muss jeweils abgehört, u.U. mehrfach aufgezeichnet werden, je nach der Lautstärke, mit der das Kind spricht.
Die SchülerInnen sitzen mindestens zu zweit vor einem PC. Ein Kind kümmert sich um die Technik (Aufnahme etc), während sich das andere auf seinen Text konzentriert.
Indem die Kinder einem Ahnen ihre Stimme geben, erhalten sie die Gelegenheit, ihre bisherige Einstellung zu Rosalind in diesem Kommentar inhaltlich zu relativieren (oder auch zu bestätigen). Außerdem machen sie eine Erfahrung mit sich selbst: Ihre Stimme tritt ihnen gegenüber, sie ertönt zugleich mit dem Bild "ihres" Ahnen. Die Stimme erscheint sozusagen im Bild-Medium und unterscheidet sich damit von der Aufzeichnung mit einem Kassettenrekorder.
Auf der › PowerPoint-Präsentation [PPT | 5,5 MB] kann der Chor der Ahnen der Unterichtseinheit angehört werden.

4. Präsentation der Positionen - Einbinden in die Geschichte


Die ausgewählten Ahnenbilder (mit den mündlichen Kommentaren) werden in der Grundschule in Klassen mit geringer Computererfahrung von der Lehrerin als Präsentation zusammengestellt und entweder mit Hilfe eines Beamers an die Wand geworfen oder per Overhead-Projektor gezeigt.
In der Sekundarstufe ist die Vorbereitung der Präsentation eine wichtige analytische Aufgabe. Es muss geklärt werden, welchem Strukturprinzip sie folgen soll, z. B. der Steigerung, Abwechslung oder Gruppierung nach thematischer Ähnlichkeit.
Wenn den SchülerInnen zum Schluss ihr Kommentar als einzelne Stimme im "Chor der Ahnen" präsentiert wird, erfahren sie ihn zugleich als individuell und als Teil einer Gesamtheit. Im "Chor der Ahnen" findet jedes Kind seine Arbeit eingefügt in das Gesamtergebnis der Klasse. Es lernt unterschiedliche Handlungskonsequenzen kennen, erfährt Vielfalt und Differenzierung und kann sich damit auseinander setzen. Eine Bewertung nach richtig und falsch gibt es dabei nicht.

RESULTATE

Die Geschwister
Der Vater
Der Vater mustert Rosalind

Vielfalt der Perspektiven


Viele SchülerInnen machen von der Möglichkeit Gebrauch, unterschiedliche Positionen einzunehmen und selbst mehrere Perspektiven auf das Geschehen zu formulieren.
Wenn es Aufgabe des Deutschunterrichts ist, emotionale Beteiligung an der fiktionalen Welt als ganzer und an den literarischen Figuren zu befördern › [2] , dann kann das - wie die Schülertexte zeigen - durch eine solche Abfolge von Aufgaben geschehen. Insbesondere wird so die naive Identifikation mit einer Figur aufgehoben.
Einige Beispiele:
Tante Fritzi: "Ich finde Rosalind, sie ist ganz süß und sie ist ganz in Ordnung, dass sie alles alleine macht und auch ganz viele Freunde hat und auch Hundefreunde hat und auch Mäusefreunde hat, und ich finde, Rosalind ist ganz in Ordnung."
Peter: "Endlich mal ´ne rote Katze, mal 'was anderes!"
Peter: "Ich heiße Peter. Ich habe Angst vor Rosalind. Wir wollen sie nicht mehr haben, weil sie orange aussieht und wir haben sie leider erschaffen. Darum wollen wir, darum geht sie auch jetzt, weil wir sie nicht mehr haben wollen."
Fanny: "Ich finde das schade, dass Rosalind weggeht. Am liebsten sollte sie wiederkommen zu unserer Familie."

Anreiz für die sprachliche Gestaltung


Indem die SchülerInnen die Gedanken einer Figur aufschreiben und einem Ahnen ihre Stimme verleihen, lernen sie zu argumentieren. Ihre Texte enthalten häufig Hypotaxen (dass, weil), syntaktische Entgegensetzungen: aber - sondern; eingeschobene Nebensätze; Konjunktive: "am liebsten sollte sie wiederkommen" und semantische Gegenüberstellungen: "Rosalind ... tut, was sie macht, und nicht, was andere sagen."

(Multi-)Mediale Erfahrung


Zwei Erfahrungen mit dem Computer stehen im Mittelpunkt: die Präsentation der "Ahnengalerie" in Form von Bildern und der "Chor der Ahnen" in Form von Tönen bzw. der eigenen Stimme als Tonaufnahme. Beides übt eine große Faszination auf die Kinder aus. Sie sind angetan von der Möglichkeit, sich aus der Galerie das Bild ihres Ahnen auszuwählen und ihm einen Namen zu geben. Die Lehrer und Lehrerinnen des Modellprojekts betonen, dass es für die Kinder "ein tolles Erlebnis" war, das Bild zu vertonen. Einzelne seien nach der Arbeit ganz rot im Gesicht gewesen; einer habe zu seinem Mitschüler gesagt: "Dein Herz klopft ja."
Die Vorstellung, die das einzelne Kind beim Zuhören und Betrachten der Geschichte erzeugt, ist Grundlage für das Schreiben. Sie formt sich dabei zu etwas, das mitteilbar ist und transformiert sich in diesem medialen Übergang. Der Austausch über die Schriftstücke befördert die Reflexion, eröffnet auch neue Vorstellungsräume, beflügelt die Phantasie. Wer den "Chor der Ahnen" in seiner Klasse gehört hat, kennt nicht nur andere Urteile, er hat sie auch erfahren und kann sie kommunizieren.

PARTNER UND ORT DES MODELLPROJEKTES

Schule Arnkielstraße, Hamburg (Grund-, Haupt- und Realschule)
Schule Paracelsusstraße, Hamburg (Förderschule)
Anne-Frank-Schule, Hamburg (Förderschule)

[1] WILKON, Piotr und Jozef: Rosalind das Katzenkind. Bilderbuch, Gebundene Ausgabe - Bohem Press, 2004, ISBN: 3855812039
[2] HURRELMANN, Bettina: Literarische Figuren. Wirklichkeit und Konstruktivität. Praxis Deutsch Heft 177 (2003), S. 8

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