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Awareness Ein Interview über Modelle zur Wahrnehmung von Tele-Präsenz mit Wolfgang Prinz, Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss |
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Das Thema Awareness als elektronisch unterstützte Wahrnehmung von Aktivitäten an verschiedenen Standorten findet großes Interesse in CSCW Forschungsgruppen (Computer Supported Cooperative Work), insbesondere seit dem Aufkommen von e-commerce- / e-business- / e-learning-Anwendungen im Internet. Während sich hier die Forschung stark an der Gruppenwahrnehmung in verteilten Arbeitsszenarien orientiert, werden in der Medienkunst vor allem die Aspekte der Wahrnehmung in medialen Räumen und die Frage von privatem und öffentlichem Raum behandelt. |
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Wolfgang Prinz: »Awareness bedeutet für mich die Wahrnehmung der Aktivitäten innerhalb der Arbeitsgruppe, mit der ich zusammenarbeite, aber auch die Wahrnehmung von Aktivitäten, die an anderen Orten stattfinden. Die Frage ist, wie man die Gruppenwahrnehmung innerhalb von Teams unterstützt, die lokal verteilt arbeiten, um deren soziale Trennung zu überwinden? Ein Beispiel von konkreten Szenarien ist das TOWER -Projekt. TOWER steht für Theatre of Work Enabling Relationships. Das Ziel ist die Visualisierung eines »Theaters der Arbeit«, um eine Verknüpfung der verschiedenen Standorte zu erzielen. Generell muss man natürlich sagen, dass Awareness nur die eine Seite der Medaille ist, die andere Seite der Medaille ist Überwachung und Kontrolle bzw. der Schutz der Privatsphäre. Alle Awareness-Systeme können ja im Prinzip auch als Big-Brother-Systeme genutzt und interpretiert werden. Bei der Präsentation unserer Awareness-Projekte haben wir die Erfahrung gemacht, dass Personen, die schon intensiv mit Groupware-Systemen arbeiten, den Nutzen dieser Systeme in vernetzten Prozessen sehen. Andere, die noch nie damit gearbeitet haben, bemerken eher die Probleme, die damit verbunden sind. Ich glaube, dass es noch eine Zeit lang braucht, bis die Notwendigkeit von Awareness als funktionale Unterstützung von Kooperationsprozessen klar wird. Es müssen aber auch Wege gefunden werden, um mit sozialen Prozessen umzugehen, die zwischen Überwachung und Schutz der Privatsphäre liegen.« Fleischmann / Strauss: »Awareness bedeutet so viel wie Bewusstsein, Bewusstheit, Erkenntnis. Der Begriff wird in der Informationstechnik mit Wahrnehmung von Aktivität im Zusammenhang mit Tele-Präsenz verbunden. Es geht darum, ein Tele-Bewusstsein zu entwickeln gegenüber Kommunikationsprozessen. Diese Kommunikationsprozesse beruhen auf der Aktivität von Menschen, Robotern oder Datenströmen. So wie es eine soziale Awareness unter Menschen gibt, kann man auch von einer Awareness unter Daten sprechen. Bei genetischen Algorithmen und neuronalen Netzen reagieren die nächsten Nachbarn auf den jeweiligen Zustand eines Kommunikationsmodells, weil sie »lernfähig« sind und eine sogenannte künstliche Intelligenz haben. Awareness-Methoden, die den medialen und den realen Raum verbinden, sind Interfaces wie z.B. Computer Vision oder Tracking-Systeme, Web-Kameras, elektronische Felder, Sensoren usw. Sie messen und signalisieren die Veränderung von einem digitalen Zustand in einen anderen. Diese Veränderungen werden sichtbar, hörbar, spürbar, fühlbar - erfahrbar gemacht. Es geht um die Entwicklung und Wahrnehmung des elektronischen Doppelgängers, seiner Spuren im Netz und der Auswirkung dieser Netzaktivität auf den realen Raum.« Welche Projekte beschreiben am besten die aktuellen Ansätze zu Awareness im Forschungsumfeld von CSCW? Wolfgang Prinz: »Es gibt eine Initiative der EU, die sich speziell mit Future Office Technologies und Future Methods of Work beschäftigt. Ebenfalls von der EU werden ein Reihe von Projekten zum Thema Disappearing Computer gefördert. Die Fragestellung, wie man außerhalb der bildschirmorientierten Visualisierung andere Signalisierungsmedien für die Vermittlung von Awareness nutzen kann - z.B. Artefakte aus der alltäglichen Umgebung - ist sehr aktuell. Lotus Research beschäftigt sich auch damit, über Public Displays Awareness abzubilden. Ausgelöst wurden viele dieser Arbeiten in den frühen Zeiten des Internet am Xerox Parc. Dort entstand z.B. zur Visualisierung des Ethernet-Traffic das erste Ambient Awareness Display.« Welche aktuellen Arbeiten im Bereich Medienkunst und Design beschreiben am besten verschiedene Ansätze zu Awareness? Fleischmann / Strauss: »Tangible Media ist eine Forschungsgruppe, geleitet von Hiroshii Ishii am MIT Media Lab. Sein Ansatz der Tangible Bits hat seinen Ursprung in der Erforschung von Mensch-Maschine-Interfaces (HCI) und kooperativen Umgebungen (CSCW). 1986/87 war Hiroshii Ishii als Postdoc am GMD Forschungszentrum Informationstechnik tätig. Anthony Dunne und Fiona Raby lehren am Royal College of Art in London Awareness-Konzepte im Bereich Architektur und Produktdesign. Im FLIRT Projekt geht es um Mobilität, soziale Interaktion und Spiel, um die Fusion von Informationsraum und städtischem Raum. Daten des realen Ortes, der Zeit, des Datums, der Uhrzeit werden in Relation zum Informationsraum gesetzt.
Im Rahmen des I3 Programmes der EU - Inhabited Information Spaces - führen wir an der GMD im eRENA Projekt unsere 1987 bei Art+Com in Berlin begonnene Forschung zu Interfaces für dynamische Situationen fort. Das sind Interfaces, die den Menschen und seine Fortbewegung im Raum digital vermessen und diese Datensignale umsetzen in Licht, Klang, dynamische Skulpturen oder Objekte. Interfaces, die auf ihre Umgebung reagieren und die Bewegung des Menschen oder des Roboters als »Störfaktor« wiedergeben. Die MARS Bag signalisiert beispielsweise die eigene Bewegung und auch Annäherung eines Menschen. Bewegung wird hier in Klang übersetzt und dient damit als eigener Ausdruck und gleichzeitig als persönliches Alarmsystem. Frühe Awareness-Konzepte sind - unter anderen Namen - in telematischen Kunstprojekten zu finden, angefangen bei » Hole in Space« von Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz über »Telematic Dreaming«; von Paul Sermon bis zu Steve Mann und seinem persönlichen Überwachungssystem, einem der ersten Wearable Computing-Projekte.« Seit Mitte der 90er Jahre nimmt die Vernetzung und Überwachung von allem und jedem zu. Wie seht Ihr das Thema Privacy und Überwachung im Kontext von Awareness ? Fleischmann / Strauss: »Um 1984 war George Orwells »Big Brother« eine Vision, die sich nicht bestätigt hat. Im Jahr 2000 - dem Jahr der täglichen »Big Brother« Reality-Soaps - wird Orwells Vision nicht mehr thematisiert. Sie ist nicht mehr relevant. Inzwischen möchte jeder gesehen werden, niemand fürchtet die Kamera und das Thema Überwachung ist eher in allgemeinen Exhibitionismus umgeschlagen. Überwachungskameras in Kaufhäusern dienen heute nicht mehr in erster Linie zur Überführung von Dieben, sondern vielmehr um das Kaufverhalten der Kunden besser einschätzen und bedienen zu können. Kameras sind unser ständiger Begleiter und der Computer in Form des Handys ist zur persönlichen Umgebung geworden. In einer spielfreudigen Gesellschaft wie Japan existieren öffentliche Services für die Spiel-Community. In Tokyos Stadtteil Shibuya kämpfen Panasonic und Sony mit ihren riesigen öffentlichen Screens um die meisten Besucher und laden ein, per Handy Emails zu verschicken, die für die Öffentlichkeit auf dem Platz und im Internet sichtbar werden. Gleichzeitig wird der Platz per Web-Cam überwacht. Die meisten der jugendlichen Spieler geben sich durch Winken in die Kamera zu erkennen. Sie werden auf die Screens der Hochhäuser projiziert. Diese Weiterentwicklung des » Hole in Space« - Projektes von 1980 zeigt im Ansatz ein transparentes System, das Öffentliches und Privates durch ein gleichzeitig architektonisches und durch ein tragbares, persönliches Interface überlagert. Die Verbindung von Architektur und mobilen Kommunikationsinterfaces schafft einen neuen öffentlichen Raum. Sicher ist und bleibt öffentliche Kontrolle ein Schutz. Nicht etwa nur ein Machtinstrument und natürlich müssen Brennpunkte im realen wie im virtuellen Raum immer wieder überwacht werden. Man muss sich nur fragen, wer eigentlich vor wem geschützt werden muss. Eine künstlerische Arbeit, die sich ziemlich heftig mit Fragen von öffentlichem Raum und online Kultur auseinandersetzt ist » Smell Bytes« von Jenny Marketou. Sie entstand aus dem Interesse, über die üblichen CU SEE ME Netzwerkumgebungen hinauszugehen. Es geht um die Erscheinung, das Aussehen der Menschen, die während ihrer Arbeit zu Hause oder im Büro hinter Web-Kameras sitzen und ihr Bild ins Netz übertragen. Ein teuflischer kleiner autonomer Agent reist durch das Netz und vermisst die Gesichter, ordnet ihnen je nach Schönheit, Gleichmässigkeit oder Anomalie chemische Formeln zu, die einen bestimmten Geruch symbolisieren und mit Schönheit oder Häßlichkeit verbunden sind. Die Sache erinnert an die Charakterstudien des italienischen Kriminologen Cesare Lombroso (1853 - 1909) und seine bizarren Theorien zur Verbindung von Schönheit und Geist bzw. von Anomalie und Kriminalität. »Smell Bytes« wurde das erste Mal in einer Ausstellung mit dem Titel »Kannibalismen« gezeigt und das ist wirklich ein treffender Begriff für den Zustand des Netzes und wie dort miteinander umgegangen wird. Der e-Business und e-Commerce Markt ist ist heftig umkämpft. Unser Anspruch an öffentliche Überwachungstechnologie ist deshalb der, dass ein öffentlich zugänglicher Informations- und Kommunikationsraum geschaffen wird. Überwachung kann nicht die Strategie zur Lösung gesellschaftlicher Probleme sein, die durch Eskalation sichtbar werden. Stattdessen müssen Umgebungen geschaffen werden, die es den Menschen ermöglichen, die Situationen, die diese Probleme hervorrufen wahrzunehmen, um somit die Ursachen zu erkennen und Strategien für einen produktiven Umgang erproben zu können. So sollten zum Beispiel elektronische Spiel- und Lernfelder an den Brennpunkten der Gesellschaft installiert werden: Medienlabors in den Städten, in den Schulen, auf den Spielplätzen, als Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur veralteter hölzerner Strategien. Da dies nicht geschehen wird, werden sich Gesellschaft und Industrie eine neue Umgebung für die Politik schaffen und mit Technologien wie Internet, Handy und Mobilität einen elektronischen Ersatzraum aufbauen.« Während sich das Thema Awareness sehr stark mit dem Internet entwickelte, greift das Gebiet Computer-Supported-Collaborative-Work in die frühen 80er Jahre zurück. Was waren die wichtigsten Punkte und Schwellenereignisse in der Entwicklung von CSCW? Wolfgang Prinz: »Alles begann damit, dass man versuchte Arbeit auf eine sehr mechanische Art und Weise zu unterstützen. Man suchte nach Modellen, die Prozesse modellieren. Aufgrund dieser Modellierungen wurden Arbeitsprozesse gesteuert und kontrolliert. Aus dieser Zeit stammen sehr viele Workflow-Systeme, die am Anfang eine wichtige Rolle spielten, aber mittlerweile in den Hintergrund gedrängt worden sind. Im nächsten Schritt erkannte man, dass man durch die Beobachtung alltäglicher Arbeit und Kooperationssituationen ein besseres Verständnis für den Unterstützungsbedarf erzielt. Diese Beiträge kamen im wesentlichen von Etnographen. Lucy Suchman ist z.B. eine bedeutende Persönlichkeit, die den Begriff der Situatedness-of-Work geprägt hat. Durch ihre ethnographischen Studien hat sie klar gemacht, dass Arbeit eben immer in einem gewissen Kontext situiert ist und dass Benutzer immer auf diese Kontexte reagieren, und zwar ad hoc und nicht nach vorgefassten Plänen. Es folgte später ein Ansatz von Kjeld Schmidt, der dafür plädierte, dass man Pläne als Resourcen begreifen muss und nicht als strenge Regeln, nach denen Leute arbeiten. Damit gab es immer mehr Systeme, die ad hoc Kommunikation unterstützen. Daneben wurden Task-Management-Systeme entwickelt, mit denen Teammitglieder gegenseitig Ihre Aufgaben koordinieren können. Ein Beispiel ist der in unserer Forschungsgruppe entwickelte » Taskmanager«. Von großer Bedeutung für die Entwicklung war die Einsicht, dass man Aufgaben ablehnen, deligieren oder weiterleiten kann und nicht nach einem vorgefertigten Muster alles ausführen muss. Damit entfernte man sich von den prozedural orientierten Systemen hin zu Systemen, die die gemeinsame Gruppenarbeit mit Hilfe von gemeinsamen Workspaces oder Arbeitsräumen unterstützen. Darin liegen im Prinzip auch die Ideen zum BSCW-System für Shared Workspaces: Dokumente können einfach in frei strukturierbaren Arbeitsräumen abgelegt werden, und es können Aufgaben dazu deligiert werden. Ein anderes System, das sehr stark die Raum-Metapher nutzt ist DIVA, das auch in unserem Forschungsinstitut entstanden ist. Ein ähnliches System ist Teamrooms, das an der University of Calgary konzipiert wurde. Beide nutzen die Raum-Metapher, um die gemeinsame Arbeit zu koordinieren. Jeder Raum entspricht einem unterschiedlichen Arbeitsthema, einem unterschiedlichen Arbeitsprozess oder -projekt. Mitarbeiter können dann diese verschiedenen Räume besuchen und dort ihre Präsenz darstellen. Man muss dazu aber sagen, dass sich diese ganzen raumbasierten Systeme im wesentlichen nicht durchgesetzt haben, weil sie eine zu starke Strukturierung der Arbeit erfordern. Und wenn man davon ausgeht, dass Leute immer erst einen Raum besuchen müssen, um Dokumente zu finden, dann ist das ein zusätzlicher Aufwand, der mit dem Arbeitsprozess nicht übereinstimmt. Die heutigen Ansätze zu CSCW-Systemen entfernen sich von der expliziten Idee eines Raumes oder eines Ortes, wo man hingeht, um jemanden zu treffen. Man bevorzugt die Vorstellung von einem gemeinsamen Raum, der implizit dadurch entsteht, dass die Mitglieder gegenseitige Anwesenheit und Aktivitäten wahrnehmen. Die »virtuellen Treffpunkte« zum gemeinsamen Arbeiten werden implizit durch automatische Kontextualisierung der Inhalte geschaffen.« In welchen Zusammenhang steht das Thema Awareness zu Telematik und Virtual Reality ? Fleischmann / Strauss: »Die heutige Auseinandersetzung mit dem Begriff Awareness ist zwar entscheidend durch den Internet-Boom bestimmt worden, aber ebenso wichtig war die historische Entwicklung von Virtual Reality (VR) in diesem Zusammenhang. Sie motivierte zu wissenschaftlichen und künstlerischen Experimenten mit Themen wie Telepräsenz und Wahrnehmung von virtuellen oder entfernten Räumen und Personen. Diese Auseinandersetzung liegt dem heutigen Verständnis von Awareness zugrunde. Die Entwicklung von VR fand in verschiedenen Kontexten statt: in der Computer-Industrie, im Militär, bei der NASA, im Science Fiction, in der Kunst und den Gegenkulturen. VR entwickelte sich von einer Fiktion - der Idee in den Datenraum hinein zu springen - in William Gibsons » Neuromancer« (1984), zu einem breiten Diskurs und ab 1992 zu einer verkäuflichen Technologie. In »Neuromancer« wird auch der Begriff »Cyberspace« eingeführt. Die gleichzeitige Entwicklung von VR-Technologie an vielen Orten zeigt, wie weit sie mit der aktuellen Kultur verbunden ist: Es entsteht der Illusionsraum einer high-definition, immersiven, graphischen Repräsentation von Daten. Die technischen Vorläufer der heutigen Systeme sind die von Ivan Sutherland in den späten 60er Jahren entwickelte Datenbrille (head-mounted display) und das 1982 von Thomas Furness entwickelte Air Force »super cockpit«. Im August 1989 stellen die Firmen VPL und Autodesk ihre ersten VR Produkte mit sensationellem Erfolg auf der SIGGRAPH vor. Es war ein Kulturschock. 1990 kooperierten wir von ART + COM aus bereits mit VPL. 1990 erschien der Artikel von John Perry Barlow » Being in Nothingness«, 1991 Howard Rheingolds Buch » Virtual Reality«, und 1992 der Film Lawnmower Man. 1992 zeichnete die Ars Electronica unsere VR-Installation » Home of the Brain« mit der Goldenen Nica für interaktive Kunst aus. Es war das erste künstlerische Beispiel, das diese neue Technologie verwendet hat und sie thematisierte. Parallel zu dieser Entwicklung eines virtuellen Raumes - als Utopie und Simulation - existiert schon seit den 60er Jahren der vernetzte Raum. Während des kalten Krieges entwickelte die »Defense Advanced Research Projects Agency« der USA einen dezentralen Kommunikationsraum (das DARPA-Netz), um sich vor den Folgen eines möglichen militärischen Angriffs zu schützen. Damit war erstmals ein vernetzter Kommunikationsraum enstanden in dem, vom einen zum anderen, von einem zu vielen, von vielen zu vielen und von vielen zu einem kommuniziert werden konnte. Die spätere Erfindung des World Wide Web (Tim Berners-Lee, 1989) war zunächst als Tool für die Zusammenarbeit in der Hochenergie Physik-Community entwickelt worden, breitete sich aber schnell weltweit in den Universitäten und Forschungseinrichtungen aus. Das WWW war ein neuer Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der Frage von Awareness, die schon die Entwicklung der VR geprägt hatte.« Welchen Zusammenhang gibt es zwischen diesen Entwicklungen und der Medienkunst? Fleischmann / Strauss: »Die Motive der telematischen Kunst greifen insbesondere das Verhältnis von nah und fern auf und spielen mit allen möglichen Formen von Telepräsenz. Wie erlebe ich die Präsenz des anderen, der nicht hier ist, obwohl es so scheint? » Telematic Dreaming« von Paul Sermon ist eine telematische Installation in der das Thema Awareness als ein Erfahrungsraum für den Nutzer realisiert wird. In VR-Szenarien wurden Orientierung und Navigation zum Schlüssel der Fragestellung, wie eine synthetisch erzeugte Welt oder eine virtuell anwesende Person wahrnehmbar ist. Visualisierungs- und Navigationsmethoden und Interfaces wurden entwickelt, um Awareness in vernetzten Formen von Interaktion und Kommunikation zu erforschen. In dem japanischen VR-Projekt von Kazuhiko Hachiya - »InterDiscommunication Machine« - tragen zwei Teilnehmer Head Mounted Displays, wobei die Spieler statt der eigenen Perspektive, die Perspektive und den Sound des anderen wahrnehmen. Ähnlich wie in dem Film » Being John Malkovic« (2000), soll der Spieler in einen anderen Körper und in dessen Wahrnehmung eintreten, um die Welt aus dessen Sicht zu erfahren. Die Vernetzung und Visualisierungstechniken aus Wissenschaft, Kunst und Architektur haben den heutigen Stand der Medienkunst, -technik und -gestaltung geprägt. Der wissenschaftliche Hintergrund der gesamten Entwicklung ist die Kybernetik mit den Protagonisten Norbert Wiener, Heinz von Foerster, Gregory Bateson, Ernst von Glasersfeld und anderen. Einerseits gibt es heute die Dematerialisierungsthese, die besagt, dass der Körper verschwindet. Andererseits gibt es ein Verständnis darüber, wie die Medien auf den Körper wirken und wie dieser dadurch in einem ständigen, evolutionären Prozess des »body shaping« neu geprägt und formuliert wird. Aus der Dematerialisierungs- und der Materialisierungthese - und aus der aktuellen Forschung in Wissenschaft und Technologie ergibt sich eine dritte, die Genom-These. Sie besagt, daß anstelle des »quasi-natürlichen Körpers« Maschinen aller Art treten: virtuelle oder reale, intelligente, selbstlernende, autonome Modelle, die selbst wieder unseren Körper steuern können, wie Stelarc das in seinen Performances zeigt. Das Interface, das zwischen realem Körper und technischem Körper vermittelt, versetzt den Benutzer in eine Situation, die den Wahrnehmungsprozess nicht abbildet, um eine Illusion zu schaffen, sondern für den Nutzer sichtbar macht, wie dieser Prozess funktioniert. Zahlreiche Medienkunst-Projekte thematisieren die Konfrontation mit künstlichen Systemen oder eigenständigen Maschinen, die neue Formen der Awareness gegenüber dem eigenen Körper stimulieren. Seit ca. 1998 werden Mixed Reality-Konzepte entwickelt, die den virtuellen Raum in den realen Raum einbinden. Dabei wird die »Awareness« des hybriden Raumes erforscht. Sie entsteht durch die Überlagerung der Wahrnehmung des realen Raumes und des eigenen Körpers mit der Wahrnehmung anderer Teilnehmer in vernetzten Räumen. Unsere Performance Installation » Murmuring Fields« von 1998 ist ein Beispiel für diesen Ansatz.« Eine historische Besonderheit von CSCW ist es, daß Teams, die an der Ausarbeitung der CSCW bzw. Awareness Systeme arbeiten, meistens interdisziplinäre Teams sind. Aus welchen Disziplinen bestehen sie ? Wolfgang Prinz: »Die meisten sind natürlich Informatiker, als Entwickler dieser Systeme. Dann sind Sozialwissenschaftler beteilig, die Systeme evaluieren, deren Einsetzbarkeit nutzen, vor allem aber an partizipativen Design-Prozessen wesentlich beteiligt sind. Psychologen experimentieren mit den Systemen, und Ethnographen beobachten die Arbeitsprozesse, um dort Hinweise zu finden, wie sie besser unterstützt werden können.« Wo seht ihr die Schwierigkeit, die Relevanz künstlerischer Auseinandersetzung mit Kommunikationsprozessen und Awareness für wissenschaftliche Projekte und technologische Entwicklung, zu vermitteln? Wolfgang Prinz: »Ich weiß nicht, ob dies eine spezielle Sprache erfordert. Ich glaube, es bedarf der Offenheit beider Disziplinen. Die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen, bei denen beide Disziplinen zusammenarbeiten und wo man versucht Synergiemöglichkeiten zu finden, ist der richtige Schritt. Ich weiß nicht, ob das von Erfolg gekrönt sein wird, wenn man ausschließlich versucht, eine gemeinsame Sprache oder ein Vermittlungskonzept zu finden. Letztendlich basiert sehr viel auf der Zusammenarbeit zwischen Menschen. Betrachten wir doch als Analogie das, was am Anfang im CSCW Bereich geschah, nämlich die Verknüpfung der Informatik mit den Sozialwissenschaften oder der Ethnographie. Da gab es anfangs eine ganze Menge Missverständnisse zwischen den verschiedenen Disziplinen, es war sehr schwierig, beide zusammenzubringen. Erfolge stellten sich ein, als man Institutionen oder Zentren gegründet hat, in denen beide Disziplinen eng zusammenarbeiteten, wo beide voneinander lernten und über die gemeinsame Forschungsarbeit iterativ ein gemeinsames Sprachverständnis entwickelten. Ich bin der Meinung, dass man zunächst reale Veranstaltungen braucht und von diesen ausgehend Plattformen in Web schaffen kann. Denn es gibt zur Zeit ein Überangebot im Web von Treffpunkten, Veranstaltungen, Plattformen oder Diskussionsforen. Es ist sehr wichtig, dass man die Leute erst einmal zusammenbringt, damit eine persönliche Beziehung entstehen kann. Und ausgehend von dieser persönlichen Beziehung muss man versuchen, eine Plattform zu schaffen, die diese am Leben erhalten kann. Hier kommen wir wieder zum Awareness Thema. Wenn man die Leute einmal zusammengebracht hat, muss man sie online begleiten, sie müssen immer noch eine Präsenz fühlen, eine Präsenz spüren - und darüber in Kommunikation treten.« Vielen Dank für das Gespräch.
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