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Die Kuratoren Christiane Paul, Steve Dietz und Jon Ippolito nehmen Stellung zu Online-Ausstellungen
// Gabriele Blome
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Wie wird eine Online-Ausstellung zu einem Kunstereignis am Computerbildschirm? In Verbindung mit einer fortschreitenden Entwicklung der Netzwerktechnologien, erproben Künstler und Kuratoren neue Präsentationskonzepte, die die inhärenten Eigenschaften des Netzes für den virtuellen Ausstellungsraum ausloten: Der vernetzte Raum ermöglicht einen dynamischen und kollaborativen Kontext zur Vermittlung von Kunst. Dabei werden Rollenzuweisungen an Künstler, Kuratoren und Publikum neu definiert.

Die virtuelle Ausstellung ist kein abgeschlossenes Gefüge, sondern kann als ein permanenter Prozess der Präsentation, Produktion und Kommunikation von Kunst konzipiert werden. Neben diesen Strategien definiert das Web-Interface wesentlich, wie das Navigieren durch hypermediale Strukturen zur Kunsterfahrung wird. Die Systematisierung von Information in alphabetischen, semantischen, räumlichen oder zeitlichen Ordnungen sowie deren Verknüpfung bestimmen ebenso die Navigationsstruktur wie die visuelle Gestaltung.

Die Online-Ausstellung
Drei Kuratoren für Neue Medien, Jon Ippolito ( Guggenheim Museum, New York), Christiane Paul ( Whitney Museum, New York) und Steve Dietz ( Walker Art Center, Minneapolis), sprechen aus ihrer Erfahrung und beleuchten Aspekte zur Vermittlung von Kunst im vernetzten Raum. Hier einige Antworten in Auszügen:

netzspannnug.org: Welche Inhalte eignen sich für die Präsentation im virtuellen Ausstellungsraum und wie greifen Inhalt und Medium Internet ineinander?

Christiane Paul: Die Präsentation von Netzkunst oder »vernetzter Kunst« ist nicht unproblematisch. Netzkunst wird gemacht, um jedem zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort der Welt zugänglich zu sein. Museen und Galerien verlieren in diesem Zusammenhang ihre Legitimation und einige Netzkünstler wollen natürlich ganz gezielt den traditionellen Kunstmarkt, das bestehende System und die Institutionen umgehen.

Steve Dietz: Eine andere Möglichkeit, hierüber nachzudenken, ist zu fragen, was passiert, wenn Medium und Raum gleichlaufend sind - wenn im Grunde genommen das ganze Internet der »Raum« der virtuellen Ausstellung ist. Bei » Art Entertainment Network« habe ich mit einem »ursprünglichen« Format des Internets gearbeitet und so ein spielerisches Portal erstellt, das gleichzeitig den virtuellen Ausstellungsraum als Zeiger- / Filterfunktion anerkennt und dennoch versucht, ihn mit Inhalten zu erfüllen, die über die »Hot-List« hinausgehen.

Was die Frage betrifft, ob bestimmte Inhalte besser geeignet sind als andere, würde ich einfach sagen, dass unterschiedliche Inhalte unterschiedliche Herausforderungen darstellen. Beispielsweise ist ein Werk, das darauf basiert, dass Fehler in den Log-File eines Servers geschrieben werden, im wahrsten Sinne des Wortes nicht für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich (z.B. The non site Gallery). Oder ein Werk, das in Echtzeit passiert, kann niemals genau wieder erlebt werden, - es kann nur erinnert werden, z.B. Adrift). Das sollte jedoch nicht bedeuten, dass diese oder andere Inhalte nicht im Rahmen einer virtuellen Ausstellung gezeigt werden.

Wie greifen inhaltliches Konzept und Gestaltung ineinander? Welche Strategien aus Kunst, Design, Technologie und Architektur können für Online-Ausstellungen produktiv gemacht werden?

Jon Ippolito: Bisher laufen die meisten Versuche, Online-Kunst auf einer Museums-Websites zu präsentieren, auf nur wenig mehr hinaus als das Internet-Äquivalent eines Prospekts: die Lesezeichen des Kurators, versehen mit einigen erklärenden Texten und ein paar kleinen Bildern. Es ist verlockend, sich die Ressourcen und Erfahrungen des traditionellen Museums zunutze zu machen, um eine virtuelle Filiale seines realen Museums im Cyberspace zu erstellen. Doch das Aufpeppen seiner Website mit Flash oder Quicktime VR wird nichts nützen, wenn das grundlegende Paradigma ein Prospekt ist.

Christiane Paul: Ich halte es für schwierig und problematisch, Strategien aus den Bereichen Kunst, Design, Technologie und Architektur, die für den physischen Raum entwickelt worden sind, in den virtuellen Raum zu übertragen. Virtuelle Räume sind n-dimensional und nicht dreidimensional, sie erfordern einen völlig anderen Ansatz und eine andere Sprache. Natürlich lassen sich Parallelen ziehen, z.B. zwischen Technologiegeschichte, konzeptioneller Kunst, Performance und Netzkunst, aber Strategien müssen trotzdem völlig neu definiert werden.

Welche Relevanz haben Kommunikationsprozesse für das Ausstellungskonzept? Welche Formen der Partizipation und Repräsentation sollten Online-Ausstellungen den Nutzern bieten?

Steve Dietz: Kommunikationsprozesse sind sehr relevant. Auch hier glaube ich, ohne verbindliche Regeln vorschreiben zu wollen, dass es bei einer frühen Ausstellung wie z.B. »PORT: Navigating Digital Culture« letztlich genauso sehr um die Diskussion innerhalb der Mailinglist ging, die zu der Ausstellung geführt wurde, wie um die Ausstellung selbst. Eine sehr große Zahl anderer Projekte vor und seit dieser Ausstellung haben Kommunikation sowohl als vermittelndes Element als auch als Ausstellungsinhalt an sich genutzt.

Wie kann eine Verschränkung von virtuellem und realem Raum im Kontext von Online-Ausstellungen produktiv gemacht werden?

Steve Dietz: Durch andauerndes und engagiertes Experimentieren. Im Allgemeinen würde ich sagen, dass viele Strategien von Künstlern eines Tages Standard-Präsentationsstrategien sein werden. In »Telematic Connections: The Virtual Embrace«, der letzten Ausstellung, die ich als Kurator betreut habe, ging es sehr stark darum, wie Künstler den hybriden Raum nutzen, d.h. den Schnittpunkt von physikalischem Raum und Netzwerk. Ich gehe davon aus, dass vieles von dem, was sie dort gezeigt haben, - von Cyborg-Implantaten über Remote-Telepräsenz bis hin zu Stimm- und Körperschnittstellen, um nur einige Beispiele zu nennen, mit der Zeit normale Online-Ausstellungsstrategien werden.

Das Online-Archiv
Ein anderes Format, Kunst im Netz zu präsentiere stellt das Online-Archiv dar. Als Präsentationskontext unterscheidet es sich von der Online-Ausstellung durch zwei wesentliche Charakteristika: Es ist zeitlich und inhaltlich nicht begrenzt. Zwar sind Online-Ausstellungen im Prinzip solange präsent, wie sie im Netz stehen, jedoch ist die Auswahl der Projekte abgeschlossen und soweit Diskussionen von beauftragten Experten geleistet oder moderiert werden, sind sie zeitlich begrenzt. Diesem Konzept der Ausstellung als »Snapshot« eines bestimmten Forschungs- oder Diskussionsstandes stellt das Online-Archiv einen Präsentationskontext entgegen, der auf Zuwachs angelegt ist.

Die potenziell zeitliche und inhaltliche Unbegrenztheit definiert einen sich permanent reorganisierenden Ausstellungskontext. Die Offenheit seiner Struktur erfordert Strategien, um neue Projekte in die Sammlung zu integrieren, Strategien, um neue Beiträge inhaltlich und visuell in einen bestehenden Kontext einzufügen bzw. für die neu integrierte Arbeit einen Kontext zu schaffen.

Vernetzte Archive
Das Internet kontextualisiert auch das Archiv selbst und ermöglicht sowohl kollaborative Strategien der Archivierung als auch den Aufbau kooperativer Wissensräume durch die Vernetzung von Archiven. Diese Verknüpfung ist die Voraussetzung zur Entwicklung thematischer Präsentationskontexte, die ihre Objekte aus unterschiedlichen Datenbeständen und Archiven im Netz beziehen und z.B. als Ausstellung inhaltlich und visuell zusammengeführt werden. Die Vernetzung von Archiven ist im Kunstkontext von besonderer Relevanz in Hinblick auf Arbeiten mit zeitbasierten Medien und auf ephemere Werke, die nur als Dokumentationen in Ausstellungskontexte eingebunden werden können. Eine Vernetzung der Archive stellt zudem ein wesentliches Werkzeug zur Erforschung von Wissensgebieten dar, wobei dieser Prozess selbst als ein neuer Wissensraum visualisiert werden kann.

Die Timeline
Unabhängig von der Vernetzung eines Archivs stellt sich die Frage nach erweiterbaren Ordnungen, die in ein Interface überführt werden können, das über eine intuitive Navigation Bezüge zwischen verschiedenen Werken offen legt.

Zur Darstellung zeitlicher Entwicklungen ist die Anordnung von Projekten und Diskursen in einer zeitlichen Abfolge, - einer Timeline - nahe liegend. Aktuell finden sich verschiedene Timeline-Konzepte im Netz.

So setzte Randall Packer in der von ihm konzipierten Ausstellung » From Wagner to Virtual Reality« neben einer thematischen Strukturierung des Inhaltes eine Zeitleiste ein, um die Pioniere des von ihm bearbeiteten Themenfelds in zeitlicher Reihenfolge zu präsentieren und ihre Konzepte vorzustellen. Durch die in den erläuternden Texten eingefügten Links ist die Timeline ein Element einer thematisch organisierten Hypertextstruktur, die allerdings nicht auf Erweiterung angelegt ist.

Die von Steve Dietz im Rahmen der Ausstellung »Telematic Connections: The Virtual Embrace« angelegte Timeline ist Teil der Webpräsenz eines Ausstellungsprojektes vor Ort. Diese Timeline bleibt zwar auf sich beschränkt, insofern sie keine Hypertextstruktur aufweist, sie stellt jedoch ein offenes Archiv dar. Die Nutzer sind aufgefordert, die Timeline um Projekte zum Thema Telematik und Telepräsenz zu ergänzen.

Auch die Medienkunst-Plattform Rhizome nutzt das Konzept der Timeline, um die einzelnen Beiträge zu kontextualisieren. Für die verschiedenen Formen von Beiträgen wie Gespräche, Kommentare, Rezensionen, Veranstaltungen und Theorie wird jeweils eine Zeitleiste angelegt, die auf der Abfolge der Eingaben basiert. Alle Zeitleisten sind nebeneinander angeordnet zu einer navigierbaren Zeit-Spirale zusammengefasst. Indem zeitgleiche Einträge in den unterschiedlichen Bereichen nebeneinander stehen, entsteht ein Bild der Themen, die während eines Zeitraums präsent sind.

netzspannung.org arbeitet an der Konzeption einer Timeline, die darauf zielt, komplexe Zusammenhänge in einer intuitiv erfassbaren Struktur erfahrbar zu machen. Ein erweiterbares Kontextualisierungssystem soll offen legen, wie Kunst, Technologie und Theorie ineinander greifen bzw. wann in den verschiedenen Gattungen medienkünstlerischer Produktion welche Konzepte und Technologien aufgegriffen und weiterentwickelt werden.

Ein erster Prototyp netzspannung.org-Timeline basiert darauf, klassische Verfahren der Systematisierung zu nutzen und den Projekten bestimmte Eigenschaften wie Entstehungszeit, Kategorien, Schlagworte und Medium zuzuordnen. Dies ermöglicht, alle Projekte einer Kategorie in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung anzuordnen. Durch die parallele Anordnung der Zeitleisten Theorie, Forschung und Technik, Netz und Bühne entsteht ein Interface, das auf einer systemdefinierten Kontextualisierung basiert und disziplinenübergreifende Einblicke in die medienkünstlerische, -technologische und -theoretische Entwicklung geben kann.


netzspannung.org-Timeline

Kollaborative Wissensräume
In der Weiterentwicklung des ersten Timeline-Prototypen arbeitet netzspannung.org nun daran, aktuelle Entwicklungen im Forschungsfeld Wissensmanagement/Wissensentdeckung für ein Archiv medienkünstlerischer Produktion zu nutzen und auf der Basis dieser Technologien einen kollaborativen Wissensraum aufzubauen.

An die Stelle fest definierter Kategorien, die eindeutige Zuordnungen erfordern, treten Cluster verwandter Inhalte. Ein neuronales Netzwerk organisiert die Inhalte auf der Basis semantischer Textanalysen. Diese systemgenerierte Kontextualisierung bildet die Grundlage für eine offene Kartographie der medienkulturellen Produktion, die unter anderem auch in einer Timeline visualisiert werden kann. Das Experiment liegt darin zu erforschen, inwieweit es möglich ist, semantische Textanalyse und menschliche Fachkenntnis zu verbinden und bei der Strukturierung und Visualisierung eines sich permanent erweiternden Online-Archivs einzusetzen. Offene und flexible Strukturen vereinfachen darüber hinaus, verschiedene Archive - also verteiltes Wissen - an spezielle, gemeinsame Präsentationskontexte anzubinden.

Über eine Systematisierung in fest umrissenen Ordnungen oder in dynamischen »Semantic Maps« hinaus, kann der Nutzer bzw. sein Verhalten in den Prozess der Kontextualisierung von Projekten innerhalb eines Online-Archivs einbezogen werden. Indem die Auswertung seiner Navigationswege den rezipierten Dokumenten als Metadaten zugeordnet wird, können diese Informationen als zusätzliche Struktur in die Visualisierung einfließen.

Die Verbindung des Online-Archivs mit einer Community-Plattform ermöglicht darüber hinaus, die Präsentationsmodule mit einem persönlichen Online-Workspace zu verbinden. Die Sammlung wird damit zu einem Ort, an dem sich auch die individuelle Auseinandersetzung des Nutzers manifestiert. Im persönlichen Workspace wird die »Timeline« zu einem Tool, um die eigene Sicht der Verbindung zwischen verschiedenen Projekten anschaulich zu machen.

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Der Frage nach neuen Formen kultureller Praxis im vernetzten Raum wird sich netzspannung.org auch künftig widmen. Für die diesjährige Siggraph hat netzspannung.org Experten eingeladen, künstlerische, technische und kuratorische Aspekte der Kulturvermittlung in neuen Medienräumen vorzustellen und zu diskutieren. Die Veranstaltung findet am 15. August 2001 statt. // Siggraph 2001, Los Angeles.

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