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Martin Eibach

MEDIENKOMPETENZ IM MUSIKUNTERRICHT

Einleitung

Der Computer ist heute als wichtiger Bestandteil der musikalischen Praxis nicht mehr weg zu denken. Die Veränderung der Musikkultur durch die enorme Erweiterung der Möglichkeiten bei der Produktion, Distribution und Rezeption von Musik durch dieses Medium wird erst langsam bewusst [link 01] [1]. Die Schulen als gesellschaftliche Subsysteme sind selbst Teil dieser Entwicklung. Seit dem Jahr 2001 besitzt jede allgemein bildende Schule in Deutschland einen Internetanschluss [link 02] [2]. Medienkompetenz gilt als Schlüsselkompetenz der Gegenwart und die Schule soll dazu beitragen, die Medienkompetenz der Schüler zu fördern und weiter zu entwickeln. Die Kultusministerkonferenz formuliert 1995 als Ziel der fachbezogenen und fächerübergreifenden medienpädagogische Arbeit „die Schüler zu einem sachgerechten, selbst bestimmten und sozial verantwortlichen Umgang mit den Medien (zu) befähigen” [link 03] [3].
Was ist der Beitrag des Musikunterrichts zur Erreichung dieses Ziels? Der nachfolgende Artikel skizziert dazu einige Überlegungen. Zunächst wird der Ist-Zustand genauer in den Blick genommen. Mit den Begriffen Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz wird ein Bezugsrahmen zur Klärung dieser Frage eröffnet, der in der Musikpädagogik bislang nur am Rande behandelt wurde (vgl. [link 04] [4]). Unter der Perspektive einer musikpädagogischen Medienkompetenz werden abschließend Leitfragen als Orientierungshilfe für die Unterrichtsgestaltung formuliert.

Noch wenig Raum für neue Medien im Musikunterricht


Die optimistische Vorstellung, dass im gegenwärtigen Musikunterricht bereits die „Integration multimedialer Technologien (...) vollzogen (sei)” [link 05] [5] muss aus heutiger Sicht bezweifelt werden. Abgesehen von rühmlichen Ausnahmen spielt der Einsatz von neuen Medien im Musikunterricht nach wie vor eine untergeordnete Rolle [link 06] [6]. Zu einigen Gründen für diese Situation nimmt der Beitrag von Thomas Münch über [link 07] Selbstprofessionalisierung Stellung. Tatsache ist, dass sich viele MusiklehrerInnen in Bezug auf die medienpädagogischen Herausforderungen in ihrem Fach unsicher fühlen. Es gibt weder eine konkrete Vorstellung darüber, wie Medienkompetenz genau zu fassen ist, noch wie man das in der Erklärung der Kultusministerkonferenz formulierte Ziel erreichen kann.

Medienkompetenz lehren und lernen

Musikmedien
Zu dem notwendigen „Rüstzeug” auf dem Weg zu einer größeren Professionalität in medienpädagogischen Fragen bei MusiklehrerInnen gehört die Entwicklung eines Verständnisses von Medienkompetenz bei den SchülerInnen.

Definition


Es gibt derzeit keine allgemein akzeptierte Definition von Medienkompetenz. Aus der Vielzahl der Definitionsversuche sei ein Vorschlag von Ida Pöttinger [link 08] [7] vorgestellt:
Medienkompetenz umfasst demnach drei Dimensionen:
1. Wahrnehmungskompetenz:
¬die ästhetischen Formen von Medien kennen und deuten
¬die Funktionen von Medien für sich selbst erkennen
¬Medien hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung analysieren

2. Nutzungskompetenz:
¬sich vor zu starken Medieneindrücken schützen
¬Medienangebote unter Abwägung von Handlungsalternativen bedürfnis- und interessenorientiert auswählen
¬sich über Medien austauschen

3. Handlungskompetenz
¬Wissen, wie Medien hergestellt und verbreitet werden
¬Medien selbst gestalten und interessengebunden nutzen
¬auf Medien Einfluss nehmen

Der iPod von Apple Macintosh

Beispiel: Mobile digitale Musikmedien


Am Beispiel mobiler digitaler Musikmedien wie dem Apple iPod lässt sich veranschaulichen, wie Medienkompetenz von SchülerInnen aussehen könnte.

Wahrnehmungskompetenz: Die SchülerInnen sind in der Lage, Musik zu speichern und zu reproduzieren und können sich mit anderen darüber austauschen. Sie benennen Verwendungszusammenhänge, in denen ihnen das Medium wichtig ist (z.B. in ihrer Freizeitgestaltung). Sie kennen ökonomische und technologische Hintergründe, die die gesellschaftliche Akzeptanz des Mediums beeinflussen (Werbung, jugendtypische Szenen, etc.).

Nutzungskompetenz: Die SchülerInnen wissen von den Gefahren übertriebener und zu lauter Verwendung mobiler digitaler Musikmedien für ihr Gehör. Sie gebrauchen diese Medien, um ihre Lieblingsmusik überall hin mit zu nehmen. Sie stellen sich selber Titellisten zusammen und nutzen aufgenommene Musik, eine eigene musikalische Identität zu entwickeln. Sie kommunizieren ihre Vorlieben und Abneigungen und akzeptieren individuelle Unterschiede.

Handlungskompetenz: Die SchülerInnen verfügen über das Wissen, wie sie z.B. aus dem Internet Musik auf ihr mobiles digitales Musikmedium übertragen und in unterschiedliche Datenformate umwandeln können. Sie erstellen selbst mp3-Dateien und erproben in Schule und Freizeit selbstständig und in kreativer Weise Möglichkeiten der Musikproduktion (Soundprogramming, Sequenzing, Tonaufnahmen etc.). Diese Ergebnisse können sie anschließend auf eigenen Geräten abspielen. Die SchülerInnen entwickeln eine kritische Urteilsfähigkeit gegenüber den Angeboten des Musikmarktes und können sich fundiert für oder gegen die Nutzung des mobilen digitalen Musikmediums entscheiden.

Medienpädagogische Kompetenz

Wenn ein Ziel schulischer Medienarbeit in dem Aufbau und der Entwicklung von Medienkompetenz der SchülerInnen liegt, so erfordert dies von den LehrerInnen mehr als nur die technische Beherrschung von Medien. Der LehrerInnen benötigten die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung [link 09] [8] sowie ein „Meta-Wissen”, wie sie Medienkompetenz im Unterricht vermittelten können.

Teilkompetenzen


Der Begriff der medienpädagogischen Kompetenz umfasst nach Blömecke [link 10] [9] fünf Teilkompetenzen:
1. die mediendidaktische Kompetenz, d. h. die LehrerInnen verwenden Medien und Informationstechnologien reflektiert in geeigneten Lehr- und Lernformen
2. die medienerzieherische Kompetenz, d. h. die LehrerInnen behandeln Medienthemen im Sinn angemessener pädagogischer Leitideen im Unterricht
3. die sozialisationsbezogene Kompetenz, d. h. die LehrerInnen berücksichtigen die Lernvoraussetzungen der SchülerInnen beim medienpädagogischen Handeln in konstruktiver Weise
4. die Schulentwicklungskompetenz, d. h. die LehrerInnen besitzen die Fähigkeit zur innovativen Gestaltung der personalen und institutionellen Rahmenbedingungen medienpädagogischen Handelns in der Schule
5. die eigene Medienkompetenz, d. h. die LehrerInnen sind in der Lage, sachgerecht, selbst bestimmt, kreativ und sozialverantwortlich mit Medien und Informationstechnologien umzugehen
Das Modell der medienpädagogischen Kompetenz ist mit Blick auf die Ausbildung von LehrerInnen entwickelt worden. Die Teilkompetenzen können nicht alle vorausgesetzt werden, sondern sollten sich allmählich entwickeln. Deutlich wird an diesem Modell, dass für den Erwerb medienpädagogischer Kompetenz umfangreiches Wissen und Fähigkeiten im „Kontext Schule”notwendig sind.

Musikpädagogische Medienkompetenz

Sowohl der Begriff der Medienkompetenz als auch der Begriff der medienpädagogischen Kompetenz erscheinen je für sich noch zu abstrakt, um konkret im Musikunterricht wirksam zu werden. Eine Schwierigkeit liegt u.a. darin, dass es wenig Konzepte über die Kombination fachdidaktischer und medienpädagogischer Anforderungen im Musikunterricht gibt. MusiklehrerInnen benötigen daher musikpädagogische Medienkompetenz, in der diese beiden Bereiche zusammenfallen.
Musikpädagogische Medienkompetenz lässt sich als die Fähigkeit beschreiben, komplexe Unterrichtssituationen zu inszenieren, in denen der Medieneinsatz in Hinblick auf die jeweilige didaktische Vermittlungsintention bewusst geplant, durchgeführt und evaluiert wird. Dazu ist zunächst insbesondere die eigene Medienkompetenz der LehrerInnen im Sinne Blömeckes eine grundlegende Voraussetzung. Darüber hinaus geht es darum, wie Computer, Sequenzer & Co zum Einsatz kommen, so dass das leitende Ziel musikalischer Vermittlungspraxis, die Ermöglichung musikalischer bzw. musikbezogener Erfahrungen [link 11] [10] erreicht wird. Dazu ist ausdrücklich medienpädagogisches Wissen einzubeziehen. Elementar ist z.B. ein Wissen darüber, wie Kinder und Jugendliche Medien nutzen und welche Konsequenzen diese Nutzung für ihr Lernen hat. Ferner bedeutet medienpädagogische Kompetenz im musikpädagogischen Zusammenhang auch, dass LehrerInnen die spezifische Qualität jugendlicher Medienrezeption und Erlebnisweisen wahrnehmen und zur Sprache bringen [link 12] [11].

Musikalische Erfahrungen ermöglichen


Gleichzeitig bedeutet musikpädagogische Medienkompetenz eine Orientierung am leitenden Ziel des Musikunterrichts, der Ermöglichung musikalischer Erfahrungen.
Musik fügt dem Erfahrungshorizont des Menschen eine „unersetzbare, durch kein anderes Medium zu gewinnende Erkenntnis und Erfahrung von unserer natürlichen und sozialen Umwelt” [link 13] [12] hinzu. Von diesem so genannten „ästhetische Paradigma” der Musikpädagogik muss sich auch die Arbeit mit neuen Medien im Musikunterricht leiten lassen. [link 14] [13] Die neuen Medien dürfen im Musikunterricht der allgemein bildenden Schule niemals Selbstzweck sein, sondern ihre Verwendung muss sich mit Blick auf dieses „ästhetische Paradigma” behaupten können. Konkret gesprochen bedeutet dies z.B., dass der Umgang mit einem Sequenzerprogramm als Lernziel für eine Unterrichtsreihe nicht ausreichend ist, sondern erst in Zusammenhang mit originär musikalischen Umgangsweisen kann der Einsatz neuer Medien musikpädagogisch sinnvoll werden (z.B. Klang-Arrangement eines Musikstückes mit Hilfe eines Sequenzerprogramms). Handlungsorientierte Zugänge zur Musik lassen sich mit der Forderung nach musikbezogenen Erfahrungen besonders gut verknüpfen. Denn eine Grundüberzeugung des handlungsorientierten Ansatzes ist es, dass „die Vorgänge des Hörens und Verstehens von Musik nicht ausschließlich als kognitive Vorgänge, sondern vor allem als handlungsbezogene Prozesse gewertet werden” [link 15] [14]

Neue Medien im Musikunterricht - Drei Aspekte

Wie in der [link 16] Projektbeschreibung von Niels Knolle/Thomas Münch über Me[i]mus dargestellt, bietet die didaktische Differenzierung der neuen Medien als Werkzeug, Musikinstrument und Thema eine Perspektive für deren strukturierte Verwendung im Musikunterricht.

1. Neue Medien als Werkzeug


¬Werden die musikspezifischen Möglichkeiten des Mediums genutzt?
¬Bieten die neuen Medien im Unterschied zu den traditionellen Medien verbesserte musikalisch-ästhetische Erfahrungsmöglichkeiten?
¬Werden im Sinne einer kritischen Nutzung alternative Umgangsweisen angeboten?
¬Werden technische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt?

2. Neue Medien als Musikinstrument


¬Werden die Möglichkeiten des Mediums genutzt, sich als musikalisch produktiver Mensch zu erfahren?
¬Werden die kommunikativen Möglichkeiten zum partnerschaftlichen Austausch genutzt?
¬Werden musikalisch-ästhetische Erfahrungen auch jenseits des Mainstreams ermöglicht?

3. Neue Medien als Thema im Musikunterricht


¬Werden die Alltagserfahrungen der SchülerInnen, ihre medialen Hör- und Rezeptionsweisen angesprochen?
¬Sensibilisiert das Me[i]Mus-Projekt für die kulturverändernden Implikationen der neuen Medien?
¬Trägt es dazu bei, den Mediengebrauch kritisch zu hinterfragen und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Neuen Medien anzuleiten?

Literatur

[9] BLÖMEKE, Sigrid :Neue Medien in der Lehrerausbildung. Zu angemessenen (und unangemessenen) Zielen des Lehramtsstudiums. In: Medienpädagogik. Internetzeitschrift: http://www.medienpaed.com/02-2/bloemeke2.pdf, 2003, eingesehen am 29.7.2004, S. 1-29.
[2] BMBF (Hrsg.): IT-Ausstattung der allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme vom Mai 2002. Bonn (Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat Öffentlichkeitsarbeit), 2002.
[6] Eichert, Randolph & Stroh, Wolfgang Martin: Medienkompetenz in der musikpädagogischen Praxis. In: Gembris, Heiner/Kraemer, Rudolph-Dieter/ Maas, Georg (Hg.)(2004): Vom Kinderzimmer bis zum Internet. Musikpädagogische Forschung und Medien (Musikpädagogische Forschungsberichte Bd. 9.), Augsburg (Wißner), 2004, S. 36-65.
[14] FISCHER, Wilfried: Handlungsorientierter Musikunterricht. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhard/Weber, Rudolf (Hrsg.): Neues Lexikon der Musikpädagogik. Kassel: Bosse, 1994, S.106.
[5] GRUHN, Wilfried: Geschichte der Musikpädagogik. Eine Kultur- und Sozialgeschichte vom Gesangunterricht der Aufklärungspädagogik zu ästhetisch-kultureller Bildung. Hofheim: Wolke, 2003, S.415
[1] HEIDENREICH, Stefan: Flip Flop. Digitale Datenströme und die Kultur des 21. Jahrhunderts. München, Wien: Hanser, 2004.
[10], [12] und [13] KAISER, Hermann Josef: Musikpädagogik/Musikerziehung. In: Helms, Siegmund/Schneider, Reinhard/Weber, Rudolf (Hrsg.): Neues Lexikon der Musikpädagogik, Kassel: Bosse, 1994, S. 177 für [10]
[8] KADE, Jochen/SEITTER, Wolfgang: Selbstbeobachtung: Professionalität lebenslangen Lernens. In: Zeitschrift für Pädagogik Nr. 3, 2004, S. 326-341.
[4] und [11] KNOLLE, Niels: The times, they're A-Changing. Zur Bedeutung von Multimedia für den Musikunterricht. In: Pfeffer; Martin, Vogt; Jürgen, Eckart-Bäcker; Ursula; Nolte, Eckhard (Hrsg.): Systematische Musikpädagogik. oder: Die Lust am musikpädagogisch geleiteten Nachdenken, Augsburg: Wißner, 1998, S. 314-328.
[3] KMK: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Medienpädagogik in der Schule. Bonn (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD), 1995, S.512.
MÜNCH, Thomas: Musikunterricht online. Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes eines neuen Mediums im schulischen Alltag. In: Helms, Siegmund (Hrsg.): Musikpädagogik zwischen Regionalisierung, Europäisierung und Globalisierung. (Musik im Diskurs, Bd. 15) Kassel: Bosse, 2000, S. 35-55.
[7] PÖTTINGER, Ida: Lernziel Medienkompetenz. Theoretische Grundlagen und praktische Evaluation anhand eines Hörspielprojekts. München: KoPäd Verlag, 1997

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[link 16]http://netzspannung.org/learning/meimus/concept