Matthias Andrzejewski


Scuola di Sant Orsola

Eine digitale Reintegration


Blick auf den Altar und das erste Bild [link 01]

Blick auf den Altar und das erste Bild

Kontext

Hochschule / Fachbereich

Universität Konstanz
Literaturwissenschaft

URL der Hochschule

» http://www.uni-konstanz.de [link 02]

Betreuer des Projekts

Prof. Dr. Felix Thürlemann

Kommentar des Betreuers

Matthias Andrzejeweski hat nach Überlegungen zur Konzeption des Projektes, an denen neben mir auch Dr. Steffen Bogen beteiligt war, eine besondere Form der digitalen Arbeit entworfen und realisiert, die wir "digitale Reintegration" nennen. Es ging darum, den heute in der Accademia, dem städtischen Museum Venedigs, aufbewahrten Gemäldezyklus zum Leben der hl. Ursula, den der venezianische Maler Vittore Carpaccio gegen Ende des 15. Jahrhunderts schuf, wieder in den ursprünglichen Anbringungsort zurückzuführen, ihn dort zu "reintegrieren".
Zu diesem Behuf musste mit Hilfe eines 3D-Programmes eine Raumhülle geschaffen werden, von der man annehmen kann, dass sie der ursprünglichen Situation in den wesentlichen Zügen entspricht. Besonders aufwändig war die digitale Rekonstruktion des heute verlorenen, aus Marmor gehauenen Altarrahmens, dessen Aussehen aus vergleichbaren erhaltenen Rahmen und mit Hilfe des im Altargemälde selber simulierten architektonischen Raums erschlossen werden kann.
Ziel einer digitalen Reintegration von Kunstwerken in ihren ursprünglichen Kontext ist nicht die Immersion des Cyber-Space. Es geht nicht darum, den RezipientInnen das Eintauchen in eine nicht mehr existierende historische Raumsituation zu ermöglichen. Das relativ kleine Abbildungsformat und die Distanz des betrachtenden Subjekts zum rekonstruierten Sachverhalt, welche die Darstellung auf dem Computer-Bildschirm mit sich bringt, sind nicht negativ zu werten. Nur dieses Dispositiv verhilft der digitalen Reintegration zu ihrem Modellcharakter, der den BenutzerInnen die Einstellung des "doppelten Blicks" ermöglicht. Es ist jene Rezeptionsform, die es uns z.B. bei der Lektüre einer Landkarte im ständigen Hin und Her zwischen einer synoptischen Sehweise dem - Überblick - und einer fokalisierenden Sehweise - etwa dem Verfolgen einer Weglinie - erlaubt, eine Reise in ein Gebiet zu planen, das wir noch nie betreten oder befahren haben. Ein ähnlicher Verdopplungseffekt ist bei der Rezeption einer digitalen Raumsimulation möglich. Wer das zusammen mit seiner malerischen Ausstattung rekonstruierte Interieur der Scuola di Sant'Orsola auf dem Bildschirm perspektivisch modelliert, und dabei den Augenpunkt nach Gutdünken immer wieder neu ansetzt, kann den Eindruck gewinnen, er würde eine Vertreterfigur seiner selbst beobachten, wie sie aus unterschiedlichen Positionen heraus die an den Wänden angebrachte Gemäldefolge betrachtet. Anders als die Wahrnehmungsform der Immersion zielt die hier beschriebene distanzierende mediale Strategie auf eine selbstbewusste Form der Wahrnehmung ab, wie sie ästhetischen Gegenständen besonders angemessen ist.
In meinen Augen erfüllt die von Matthias Andrzejewski geschaffene Simulation die oben beschriebenen Absichten sehr genau. Gerade in der Verbindung mit dem diagrammatischen Grundrissplan, über den unterschiedliche Raumperspektiven - aber auch die einzelnen Gemälde des Zyklus - mittels Mausklick angewählt werden können, erweist sich die Arbeit den meisten der bekannten digitalen Rekonstruktionen historischer Räume, die über das Internet zugänglich sind, als überlegen.

Seminar / Kurzbeschreibung

Die von Matthias Andrzejewski erarbeitete digitale "Reintegration" des Gemäldezyklus von Vittore Carpaccio ist aus einem im WS 2001/2 abgehaltenen Seminar "Erzählen in Venedig" hervorgegangen, das ich zusammen mit meinem Mitarbeiter Dr. Steffen Bogen im Hinblick auf eine Exkursion nach Venedig angeboten habe.
Hauptziel des Seminars und der Exkursion war es, die Gemäldezyklen der großen venezianischen Maler Giovanni und Gentile Bellini, Vittore Carpaccio, Veronese und Tintoretto an ihrem ursprünglichen Anbringungsort, bezogen auf die jeweilige räumliche Situation, zu untersuchen.
Die Erzählfolge, die Vittore Carpaccio zwischen 1490 und 1495 für den Versammlungsraum der Scuola di S. Orsola schuf, ist in der heutigen Präsentation in der Accademia kaum mehr verständlich, da der Museumsraum der ursprünglichen Raumsituation - einem kleinen Gebäude neben der Kirche SS. Giovanni e Paolo - in den Dimensionen und in der Ausstattung nicht entspricht. Zudem sind fast alle Gemälde, wie dies alte Stichreproduktionen zeigen, heute beschnitten. Aus dieser Situation heraus entstand der Wunsch, die erhaltenen Gemälde wenigstens mit digitalen Mitteln in den ursprünglichen Raum, der mittlerweile einer anderen Nutzung zugeführt worden ist, zu reintegrieren, sie virtuell wieder dorthin zurückzuführen, wo sie sich ursprünglich befanden.
Auf der Website der Konstanzer Kunstwissenschaft ist die Arbeit von Andrejewski abrufbar (1 Grundriss + 8 teleri + 1 pala), der die Überlegungen festhält, die der digitalen Reintegration zugrunde liegen. Ein weiterer Text von Steffen Bogen ist den Fahnen, die im Ursula-Zyklus eine zentrale Rolle spielen, gewidmet. (Siehe http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/LitWiss/KunstWiss/index.htm -> Forschung/Beispiele -> Carpaccio S. Orsola.)

Zuordnung Forschungsbereich

An der Universität Konstanz kooperiert das Fach Kunstwissenschaft /Kunstgeschichte mit dem Fach Medienwissenschaft in einem stark frequentierten gemeinsamen Magister-Studiengang "Kunst- und Medienwissenschaft". (Der Studiengang wird ab dem nächsten Semester als Bachelor/Master-Studiengang "Literatur - Kunst - Medien" weitergeführt.) Die Partnerschaft mit den Medienwissenschaftlern erlaubt es den Lehrenden der Kunstwissenschaft, mit Studierenden zusammenzuarbeiten, die an den neuen Medien interessiert sind und zum Teil auch praktische Kenntnisse in den Bereichen Programmierung und digitale Gestaltung mitbringen. Die auf der Website der Konstanzer Kunstwissenschaft präsentierten Arbeiten zu Carpaccios Ursula-Zyklus sind deshalb dem bekannten Medienwissenschaftler Joachim Paech zum 60. Geburtstag als Dank für eine langjährige fruchtbare Zusammenarbeit gewidmet.
Die mediengestützte Arbeit an kunsthistorischen Projekten spielt sich als Dialog zwischen den Studierenden und den Dozierenden ab, bei der beide Seiten Lernende sind. Die Konzeption digitaler Projekte - dies ist bald deutlich geworden - ist immer auch eine wissenschaftliche Arbeit an den entsprechenden visuellen Gegenständen, die mit Erkenntnissen verbunden ist, die auf anderen Wegen (etwa durch das an klassischen kunsthistorischen Instituten übliche, durch Fotografien und Diapositive unterstützte Beschreiben und Analysieren mit sprachlichen Mitteln) nicht gewonnen werden können.
Das Anliegen der Konstanzer Kunstwissenschaft ist es, die medienbasierte Arbeit auch für das Studium historischer Gegenstände und für die Präsentation der entsprechenden Forschungsresultate fruchtbar zu machen. Die ambitioniertesten Projekte waren bislang die Konzeption einer CD-Rom zu dem im Wiener Kunsthistorischen Museum (Weltliche Schatzkammer) aufbewahrten Paramentenschatz des Ordens vom Goldenen Vlies und die "digitale Reintegration" von Carpaccios Ursulazyklus, die hier als Wettbewerbsarbeit eingereicht wurde. Einfachere Arbeiten, wie etwa die Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes des Hochaltars der Wallfahrtskirche Birnau, werden den Studierenden jeweils als Links bei den entsprechenden Titeln im Lehrprogramm zugänglich gemacht. (Siehe zur Birnau http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/LitWiss/KunstWiss/index.htm -> Vorlesungen SS 2003 / Proseminare / Große Epochen der Kunstgeschichte exemplarisch -> Links).

  • › digital sparks 2003 [link 03]

» http://www.uni-konst…io/DigiRein/start.htm [link 04]

  • › Hautpzugang zum Raum, gegenüber des Altars [JPEG | 211 KB ] [link 05]