Heiner Sturm, Tanja Dannecker, Christa Stoll, …

Der Tag wird zur Nacht

Ein Audio-PC-Spiel für hörende Kinder entwickelt im Studiengang Medienautor an der Hochschule der Medien Stuttgart.

Nominiert für den
Digital Sparks Award 2003

www.DerTagwirdzurNacht.de

www.DerTagwirdzurNacht.de

Hochschule / Fachbereich

Fachhochschule Stuttgart Hochschule der Medien
Electronic Media

URL der Hochschule

» http://www.hdm-stuttgart.de

Betreuer des Projekts

Prof. Dr. Huberta Kritzenberger

Kommentar des Betreuers

Der Tag wird zur Nacht ist ein akustisches Computerspiel für hörende Kinder ab 10 Jahren.
Analog zur Erzählstruktur "normaler Computerspiele" wird durch eine einleitende Geschichte (Ausbruch des Vesuvs in Pompeji, ein kleiner Junge muss den Weg durch verschiedene Räume einer Villa finden, um zum Meer und damit in Sicherheit zu gelangen) die Rahmenhandlung für das Computerspiel gelegt. Damit wird die Aufgabe für die interaktive Spielhandlung festgelegt und die Identifikation des jeweiligen Spielers erreicht. Die Aufgabe besteht darin, mit Hilfe der Cursor-Bewegung die imaginierte Spielfigur durch geometrisch unterschiedlich gestaltete und mit unterschiedlichen Hindernissen ausgestattete Räumlichkeiten jeweils zum nächsten Ausgang zu navigieren. Die Räume und Hindernisse sind relativ unaufwändig mit Hilfe von Flash programmiert, allerdings sieht der jeweilige Spieler keine visuelle Ausgabe des Flash-Programms über dem Bildschirm. Stattdessen muss die Orientierung in den Räumen und die Bewegung der Spielfigur (Cursor) in Richtung Ausgang jeweils aufgrund der Interpretation von Höreindrücken geschehen. Besonders viel Aufwand wurde daher in die die Tonbearbeitung gelegt, um an die Hörerfahrung der Spieler in der realen Welt anknüpfen zu können.
Um die Räume für die auditive Wahrnehmung der Spieler möglichst erfahrungsadäquat zu gestalten, waren verschiedene Arbeitsschritte notwendig. Zuerst mussten Geräusche zu Soundlibraries zusammengestellt werden, um sie dann in einem weiteren Schritt zu bearbeiten. So entstanden beispielsweise Schrittgeräusche, Raumkulissen und Hindernisse. Für die Hintergrundkulisse wurden Klangatmos aus verschiedenen Geräuschaufnahmen zusammengefügt. Dabei wurden die Geräusche nicht nur mit dem Equalizer in ihrem Klang geformt, auch der spezifische Hall eines jeden Raumes musste im Hinblick auf die Realitätsnähe zu jedem akustischen Raumeindruck hinzugefügt werden. D.h. mit Hilfe von Equalizern wurden die Geräusche den jeweiligen Raumgegebenheiten angepasst und letztendlich wurde dann mit Hilfe eines Hallgerätes für jedes Hindernis- oder Aktionsgeräusch der Hall des jeweiligen Raumes aufgerechnet, in dem es jeweils verwendet werden sollte.
Das Klangdesign wird in diesem Spiel im Sinne einer interaktiven Hörspieldramaturgie so eingesetzt, dass im Kopf des Spielers eine zutreffende Raumvorstellung entsteht, die ihm bei der Navigation, d.h. im Sinne der Spielhandlung bei der lebensrettenden Flucht durch die Räumlichkeiten ins Freie, hilft und ihn leitet.
Der Hintergrund des Spiels ist die Überlegung, ein rein auf akustischer Wahrnehmung basierendes Computerspiel zu erstellen. Dazu waren u. a. die genannten Überlegungen zur kognitiven akustischen Wahrnehmung ebenso notwendig, wie die Adaption einer "Hörspieldramaturgie" ins interaktive Medium und die Einbeziehung, Anpassung, Übertragung und ggf. Reduktion gängiger Computerspiel-Elemente (erzählerischer Rahmen, Raumerfahrung etc.) auf den auditiven Sinn.
Wie die Evaluation in Schulen (u.a. Nikolaushilfe - Schule für blinde Kinder) bislang zeigte, macht das Spiel blinden und sehenden Kindern gleichermaßen Freude. Das medienpädagogische Ziel war, eine gemeinsame Erfahrungsbasis für die Kommunikation blinder und sehender Kinder durch die Reduktion auf den Hörsinn zu schaffen. Insbesondere kann das Spiel aufgrund von Merkmalen wie Zeitbeschränkung auch als Wettkampfspiel mit wechselseitiger Leistungsmessung eingesetzt werden.
Aus medientheoretischer Sicht ist das Projekt von Interesse, weil der Versuch einer Weiterentwicklung der Gattung Computerspiel unter Berücksichtigung anderer modaler Gegebenheiten für das Interface (auditives Interface) erfolgreich und spannend umgesetzt wurde. Das Computerspiel wird so in sich zu einem Spiel mit dem Konzept multimodaler Interaktion. Es setzt Dramaturgie, Medialität und Modalität in einen neuen Zusammenhang, der auch aus medientheoretischer Sicht zum Nachdenken über deren Beziehung, Qualität und Wirkung anregt.

Seminar / Kurzbeschreibung

Die Arbeit ist im Rahmen eines Seminars mit dem Titel "Masterprojekt" entstanden.
Dies ist ein Seminar im Rahmen des Master-Studiengangs Medienautor, den es an der Hochschule der Medien in Stuttgart seit dem WS 2000/2001 gibt. Ziel dieses dreisemestrigen Aufbaustudiengangs ist es, die Grundlagen für eine kreative Medienkonzeption mit dem Schwerpunkt Multimedia zu vermitteln.
Im Rahmen des Masterprojekts werden von Studierenden jedes Semester Multimedia-Produktionen realisiert. Hier können die Studierenden ihr Theorie-Wissen aus Überblicksseminaren wie kognitionspsychologische Grundlagen für das Webdesign, Multimediale Dramaturgie oder Autorenwerkstatt anwenden.
Im Rahmen dieser Produktion vollziehen die Studierenden den gesamten Prozess der Entwicklung multimedialer und interaktiver Systeme. Dazu gehört die kreative Findung einer Projektidee ebenso wie deren sukzessive Ausarbeitung und Realisierung des Produkts.
Dazu gehört außerdem auch, dass Prototypen des Systems anhand von Benutzungstests mit der realen Zielgruppe (10-14-jährige blinde und sehende Kinder) unter realen Bedingungen (beide Gruppen müssen sich beim Spielen auf ihren auditiven Sinn verlassen) evaluiert werden. Die Weiterentwicklung des Produkts erfolgt auf der Basis der Test-Ergebnisse.
In dem Seminar sollte der Bereich Storytelling behandelt werden. Dabei sollte ein Hörspiel für digitale interaktive Medien adaptiert bzw. verändert werden.

Zuordnung Forschungsbereich

Mensch-Computer-Interaktion / Interface Design / Barrierefreie Interfaces / Auditive Interfaces / Schnittstellenmodalität
Multimediale Dramaturgie / Digital Storytelling / Experience Design
Medienpädagogik / Multimedia-Didaktik / Hypermediale Erzählweisen und Erzählstrukturen / Computerspiel