Svenja Schelberg

leben.gebrauchsanweisung

Eine multimediale Interpretation der Romane von Georges Perec

Nominiert für den
Digital Sparks Award 2001

Hochschule / Fachbereich

Fachhochschule Dortmund
Fachbereich Design

Betreuer des Projekts

Prof.-Dr. Heiner Wilharm
Fachbereich Design

» http://www.fh-dortmund.de/fb/fb2/

Kommentar des Betreuers

"Il ne se passe rien, en somme!" (Georgers Perec) Der Milliardär Bartlebooth gerät mit der Lösung der selbstgestellten Lebensaufgabe in Verzug. Eigentlich soll keine Spur seines Lebenswerkes bleiben. 500 Puzzles - erdacht, gebaut, gelöst - sollen zu Nichts werden. Aber die Puzzles, die Bartlebooth sich machen läßt, werden ihm am Ende zu kompliziert. Er stirbt beim Zusammensetzen des 439. Bildes (La Vie Mode D¥Emploi, dt. Das Leben. Gebrauchsanweisung, Kap. XCIX). Er hat kapituliert. - In 99 Kapiteln durchmessen wir 99 Räume und in jedem spielt ein eigener roman, ein eigenes Puzzle. Die Puzzles folgen strengen Regeln. Auf den ersten Blick sind sie nicht durchschaubar. Im 50. Kapitel wird ein Bild beschrieben, die Szene einer Kriminal-geschichte, deren Erzähler ein Maler ist. Das ist ein Spiel. Hinter dem Spiel steht das Regelwerk. Mit Raimond Queneau und Italo Calvino gehörte Georges Perec zu Oulipo, der Gruppe Ouvroir de littÈrature potentielle. Hier gab es mathematische und informatische Interessen, die die Form zukünftiger Literatur beeinflussen wollten. Die Räume des Hauses, dessen Geschichte Perec in La Vie D¥Emploi erzählt, liegen auf den Wegen des Pferdes im Schachspiel. Trotz der vielen Sprünge, die es macht, kommt es kein zweites Mal an denselben Platz. Die Auswahl der Gegenstände, alle Geschichten des Lebens folgen einem komplizierten Algorithmus der modernen Mathematik, der jedem Kapitel seine Elemente zuordnet. Ein riesige Programmier-leistung steht hinter dem Text. - Bartlebooth hat kapituliert. Die einzige freie Stelle im letzten der von ihm bearbeiteten Puzzles - alle haben sie 750 Stücke - hat die Form eines X. Der Tote hat aber nur noch ein Teil in W-Form vor sich liegen. Das Puzzle geht nicht auf. Doch war und ist das Spiel die einzige Chance. Für Barthlebooth und für den Leser, der nichts anderes tut als Bartlebooth. Der Text selbst ist das Puzzle (vgl. die theoretischen überlegungen Perecs in der Einleitung und Kap. XLIV). Offenbar sind die Geschichten nicht leicht durchschaubar. Aber offenbar am Ende auch nicht berechenbar. Neues Spiel, neues Glück! Das Buch ins Gespräch zu bringen mit dem Computer. Das stand hinter der Idee, im Rahmen des Designstudiums multimediale Interpretationen geschriebener Texte zu versuchen. Vor der Hand scheint alles dagegen zu sprechen, dass Buch und Rechner ins Gemenge geraten. Hier ein uraltes Medium - analog, linear, breit, weitschweifig, symbolisch codiert, auf Zeit hin und auf Phantasie angelegt. Dort der Prototyp neuer Medien - digital, virtuell, instantan, in Echtzeit agierend, bildpräsent. So das Vorurteil und die Erfahrungen der meisten. Die Auswahl literarischer Vorlagen brachte die Dinge näher zusammen. Oulipo war ein informatisches Unternehmen. Perecs "Leben. Gebrauchsanweisungî schien, seines Algorithmus wegen, besonders gut geeignet, von einer Maschine adaptiert zu werden. Aber es ging nicht um ein einseitiges Verhältnis, darum, textbasierte Literatur in maschinengenerierte Literatur zu verwandeln. Der Roman sollte auch dem Computer etwas bringen. So rückte das Gemeinsame des Spiels in den Vordergrund. Ein literarisches Spiel. Ein Spiel mit der Sprache. Ein Sprachspiel. Also auch ein Spiel mit dem Ton, dem Klang der Sprache. Ein Puzzle in und mit Räumen. Das ist, was die Spieler am Terminal und die Leser des Romans gemeinsam haben. Im besten Fall. Denn für den notorischen Konsolenjockey bringt schon der Startschirm einige überraschungen mit sich. Die formale Strenge der Vorlage bestimmt die minimalistische Ästhetik der Multimedia-Produktion. Wer gewohnt ist an übliche Positionen und übliche Navigation, findet kaum einen Halt. Man muss es versuchen, scheitert, muss es erneut versuchen. Umso erfreulicher der Erfolg; die Lösung, wenn man einen Raum betreten, das Interieur, die Geschichte erkundet hat. Das alles braucht Zeit und Energie. Und die kommen aus dem Text Perecs. Daraus lädt sich die Maschine auf beim Spiel, wenn sie der Spieler zur Erschöpfung getrieben hat. Nichts für den Dauerclicker. Für ihn ist es schlimm, am Ende, wenn es heißt, Il ne se passe rien, en somme.

Seminar / Kurzbeschreibung

Titel des Seminars: Literatur-Clip. Schnittstelle Text-Bild. Klassische literarische Vorlagen am Rechner neu erzählt. Von der Idee bis zur Realisation. (Seminar & Projekte) Hauptstudium Kommunikationsdesign/Mediendesign Angelehnt an klassische literarische Vorlagen werden kleine Filme, Videoclips oder multimediale Anwendungen (CD) o.ä. entwickelt und mit Mitteln elektronischer Bildbe- und -verarbeitung produziert. Die Texte sind so ausgesucht, dass sie einer multimialen Umsetzung in gewisser Weise entgegenkommen. Jedenfalls bestehen sie selbst aus einer Fülle von Hypertexten und Verweisungen. Desgleichen gibt es eine Menge strukturaler Besonderheiten in den Texten, die eine digitale Bearbeitung als reizvoll erscheinen lassen. (Stichwort "Oulipoî) Ziel der Projekte ist es, eine Begegnung von Literatur und Computer zu ermöglichen, eine Begegnung, die Lust auf das jeweils andere macht. Als Quellenmaterial können neben den Texten alle Arten von Bildvorlagen genutzt werden, Bilder, Fotos, Zeichnungen, Grafiken, Fotos, Videos, Filme usw. Als Standardsoftware stehen zur Verfügung: Freehand/Photoshop/MacroMindDirector/QuarkXPress Immedia/AfterEffects/Sound EditPro/Cubase u.ä. Als Schnitt- und Bearbeitungssystem gibt es einen Media100-Arbeitsplatz. Das Seminar teilt sich in Arbeitsgruppen, die sich je eine der unten angegebenen literarischen Vorlagen wählen. Diskutiert und erarbeitet werden die literarischen Vorlagen sowie Stoffentwicklung und ästhetische, dramaturgische und inszena-torische Fragen der Clipgestaltung - vom Drehbuch bis zur Realisierung. Textvorlagen o William Shakespeare, The Tempest (London 1623; 1611 uraufgeführt); dt.: Der Sturm, Komödie in fünf Akten; in einer der erreichbaren Shakespeare-Ausgaben. Verfilmungen u.a. unter der Regie von D. Jarman, GB 1980, von J. Gorrie für die BBC, GB 1980. - o Edgar A. Poe, MS. found in a Bottle (London 1833); dt.: Manuskriptfund in einer Flasche, in: Werke Bd. 2, Freiburg (Olten) 1967/4, 1983; o Aleksander S. Puskin, Pique Dame (1834), dt.: in: Erzählungen, München 1962, ern. 1969; auch in: Meistererzählungen, hg. von A. Villara, Zürich 1987 o Lewis Caroll, Alice¥s Adventures in Wonderland (1865), dt.: Alices Abenteuer im Wunderland, hg. von Ch. Enzensberger, Frankfurt/M. 1983 und öfter; z.B. 1987 bei DTV; ders., Alice Through the Looking-Glass; (1872) - die Fortsetzung der ersten Geschichte -; dt. Alice hinter den Spiegeln, hg. von Ch. Enzensberger, Frankfurt/M 1974 u.ö. (1985 InselTB) o Jorge Luis Borges, Ficciones (Erzählungen 1923 bis 1972); dt.: Fiktionen, in: Gesammelte Werke 3/1, München (Hanser) 1981; separat erschienen z.B. in: Sämtliche Erzählungen, München 1970 o Georges Perec, La Vie Mode d¥Emploi, (Paris 1978/1980); dt.: Das Leben Gebrauchsanweisung, Frankfurt/M. 1982, ern. 1986 o Italo Calvino, Il Castello dei Destini Incrociati (Turin 1973); dt.: Das Schloß, darin sich die Schicksale kreuzen, München (DTV) 1984 u.ö. o Italo Calvino, Palomar (Turin 1983); dt.: Herr Palomar, Wien/München 1985.

Zuordnung Forschungsbereich

Institut für integrierte Gestaltung (IIG) am Fachbereich Design der FH University of Applied Sciences Dortmund; Multimedia