Thorsten  Hallscheidt

Geraniacea Death

interaktive mehrteilige Installation

Geraniacea Death

Geraniacea Death

Content Description

Geraniacea Death

Die mehrteilige, zum Teil interaktive Installation basiert auf einer Beobachtung die ich im Jahr 2002 in dem Hinterhof gemacht habe, in dem ich wohne:


Da ist das Fenster, hinter dem die Vermieterin wohnt. Ihr Mann ist vor einem Jahr an einem Hirntumor gestorben. Gegen Ende seines Lebens hat sie ihn oft zum Luftschnappen ans Fenster gestellt. Er ist dann immer ganz langsam mit dem Gesicht in die Geranien gesunken. Früher war er Metzger. Die Schweine hat er allerdings nie selbst geschlachtet. Das wurde anderswo erledigt. Jetzt kommt die Sonne hinter den Wolken hervor, die Geranien leuchten rot.



Die Worte dieses kurzen Textes (Fenster, Sonne, Metzger, Schweine, etc.) bilden Links, die diese Geschichte in einen Informationstumor hinein erweitern, um schließlich zu implodieren.

Der Mann der Vermieterin erkrankt an einem Hirntumor. Er verliert mehr und mehr die Kontrolle über sein Leben - seinen Körper - sein Denken. Er sinkt mit dem Gesicht in einen Blumenkasten voller Geranien. Er sinkt mit seinen AUGEN in einen Dschungel, eine Wildnis, eine fremde Welt zwischen den Blättern und Blüten der Geranien vor dem Fenster.

Darum geht es bei Geraniacea Death: Um eine Welt der irrelevanten Relationen, der egalisierten Prioritäten, der falschen Selektion des Viel zu Vielen. Alles wird bedeutsam und verliert an Bedeutung, bis nichts mehr bleibt als Verwunderung. Der Mann ist dem in penetranter Alltäglichkeit Existierenden ausgeliefert, da er tumorbedingt nicht mehr zu selektieren in der Lage ist. Die Sonne bescheint zunächst seine Schädelplatte, dann sinkt er etwas tiefer und die Sonne bescheint seinen Nacken und einen Teil seines Rückens. Er sinkt mit dem Oberkörper nach vorne bis sein Kopf wie ein Ballon zwischen den Geranien schwebt. Es ist die Tag-für-Tag-Sonne, die da auf ihn scheint. Zugleich ist es aber der gigantische Glutofen im Zentrum unseres Sonnensystems, dessen Protuberanzen glühende Gase Millionen Kilometer in den Weltraum hinaus schleudern. Es ist aber auch eine der letzten Sonnen, die der Mann der Vermieterin sehen wird, dort am Fenster, und es sind seine früheren Sonnen, die Sonnen des Gestern seiner Erinnerung, des Gestern und Vorgestern unserer Erinnerung. Es sind alle Sonnen, die dieser Begriff zu fassen vermag.

Hinter dem Fenster, der Vermieterin, dem Mann, dem Hirntumor, der Sonne, den Wolken, den Schweinen öffnen sich weiter Kanäle, Bilder und Situationen, die ihrerseits Tür, Tor, Link, Verknüpfung und Schleuse sind für weitere, und so weiter, und so weiter...
Der User, der Betrachter und der Besucher starten alle am gleichen Punkt, dann geht jeder seiner (Informations-, Assoziations,- ) Wege.

Es wird hineingezoomt und immer weiter aufgespalten bis alles riesig und lächerlich wird oder fremd und nichtig oder aber voller mißglückter Deutungsversuche, zuerst heilig und erhebend, dann banal und billig.

Es geht um den Tod, um den Krebstod, den Hirntumortod, den schwarzen Tod und den weißen Tod, den privaten und den wissenschaftlichen, den eigenen und den fremden. Den Tod so ernst wie möglich nehmen und so weiter, und so weiter, und so weiter...

Im Tumor kämpfen zwei Hunde miteinander, ein weißer und ein schwarzer. Über den Kopf des Mannes der Vermieterin ziehen Cirruswolken, invisible cirrus, unsichtbare Cirruswolken genauer gesagt. Mauersegler stürzen synchron durch dem Hof und jagen Insekten, die zwischen den scharfen Schnäbeln der Mauersegler sterben. Der Mann, der auch beim Sterben ist seit ein paar Monaten, war früher Metzger. Da wurde auch gestorben und gegessen. Der Kopf des Mannes schwebt wie ein Ballon zwischen den Geranienblüten. Zwischen den Geranien in der Blumenerde bewegen sich Kleinstlebewesen.

Manche Worte aus Texten oder assoziative Verknüpfungen zu Filmen oder Bildern bilden Kurzschlüsse oder führen an den Rand der Gravitation der Situation oder der neu entstandenen Zentren. Manchen Begriffen führen in die Wirklichkeit hinein, in den Schlachthof, unter die Wolken, zwischen die Geranien, in den Himmel, auf die Felder.

Geraniacea Death ist nie abgeschlossen, das Wachstum der rhizomatischen Struktur hat kein Ende. Die Struktur folgt über weite Teile der Logik des Spinnens oder des in die Luft Guckens. Alles dreht und verdichtet sich um den Mann, die Geranien, den Tumor und wird so zu einer Art mycelischer Struktur, die immer mehr Erscheinungen und Informationen frißt und in dünnen Schichten auf ihrer Oberfläche ablagert.

Das Zentrum der Installation bildet eine interaktive Benutzeroberfläche, die die Informationen strukturiert. Der User kann an einem beliebigen Punkt der Geschichte beginnen. Bei jeder Bewegung werden weitere Informationen, Bilder, Filme, Sounds, Verknüpfungen eingeblendet, so dass teilweise bis zu zehn Informationsstränge gleichzeitig sichtbar werden.

Verschiedene Gravitationszentren von Geraniacea Death führen zu Filmszenen oder kurzen Texten, Rauminstallationen, die wenn auch keine vollkommene, so doch eine Teilautonomie gegenüber der Erzählung erlangt haben. Diese realisieren sich zu Installationsmodulen innerhalb der Gesamtinstallation von Geraniacea Death.