Marcus Bransch, Uli Goll

KASKADE

Diplomarbeit zum Thema parasitäre Systeme, entstanden im CrossMediaLab der HfG Offenbach bei Prof. Bernd Kracke

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Inhaltliche Beschreibung

Der Name KASKADE ist Prinzip, denn Kaskaden durchdringen formal die gesamte Arbeit: angefangen von den Eventkaskaden im Programmcode, über die Kaskaden des Simulationssystems bis hin zur Landschaft, die sich scheinbar vollkommen autark in kaskadenartigen Animationen verändert.

Inhaltlich bezieht sich der Titel auf die Theorien des Mathematikers und Philosophen Michel Serres über parasitäre Systeme. Dieser beschreibt in seinem Buch „Der Parasit“ die kaskadenartige Durchdringung und Vernetzung jeglicher Systeme durch parasitäre Strukturen, sowie deren Aufbau und Wirkungsweise. Serres geht davon aus, dass sich jegliche Systeme nur durch parasitären Befall erhalten können, ja mehr noch, denn ohne parasitären Befall gäbe es gar keine Systeme:

"Kein System ohne Parasit. Diese Konstante ist ein Gesetz." (Serres)

Parasiten (oder anders: das „Rauschen“) sind also konstitutiv, und zwingen das System zur ständigen Reaktion und Erneuerung:

„Der Parasit ist ein Erreger. Weit davon entfernt, ein System in seiner Natur, seiner Form, seinen Elementen, Relationen und Wegen zu verwandeln [...] bringt er es dazu, seinen Zustand in kleinen Schrit¬ten zu verändern. Er bringt ein Gefälle hinein. Er bringt das Gleichgewicht oder die Energieverteilung des Systems zum Fluktuieren. Er dopt es. Er irritiert es. Er entzündet es. Oft hat dies Gefälle keine Wirkung. Es kann Wirkungen hervorrufen - und durch Verkettung oder Reproduktion sogar gewaltige.“(Serres)

Das Fundament von KASKADE, der zelluläre Automat (auch: “Game of Life”), ist ein Klassiker der Artificial-Life Forschung und bereits seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bekannt. Dieser ist in der Lage, verschiedenste Prozesse, wie z.B. virale Ausbreitung abzubilden. In der Welt von KASKADE treten verschiedene parasitär agierende Systeme gegeneinander an und parasitieren am verfügbaren Raum, es sind Wald, Wüste, Industrie und Stadt. Diese sind visuelle Stellvertreter für parasitäre Gesamtsysteme. Ihr gemeinsames Ziel ist es, den gesamten Raum einzunehmen, und ihre Konkurrenten zu verdrängen:

„In der Kette der Parasiten sucht der letzte sich stets an die Stelle des vorletzten zu setzen.“ (Serres)

Die Ausbreitung der konkurrierenden Systeme wird durch den “Game of Life” - Algorithmus ständig neu berechnet. Was dabei passiert, ist, dass sich Muster ausweiten, sterben, fortbewegen, oszillieren, sich regelmäßig oder chaotisch evolvieren. Es können sich aber durchaus statische Figuren entwickeln, die in jedem neuen Schritt so bleiben, wie sie waren.

Durch dieses Rat-Race wird die 3D Welt zur ständigen Transformation angeregt. KASKADE ist emergent - einfachste Regeln können komplexe Ergebnisse erzeugen oder sogar zu Selbstorganisation führen. Es entstehen Konstellationen, die nicht vorhersehbar oder durch Formeln berechenbar sind. KASKADE ist dadurch mehr als nur die Summe seiner Teile.

Ebenso wie die parasitäre Aktivität laut Michel Serres Systeme konsolidiert, hält das gegenseitige parasitieren der Teilsysteme des zellulären Automaten KASKADE in Gang. Würde sich ein System am Ende durchsetzten und den gesamten virtuellen Raum einnehmen, so käme auch das Gesamtsystem KASKADE zum Stillstand. KASKADE simuliert also auf einer abstrakteren Ebene die von Serres beschriebenen parasitären Prozesse.

„Wir wissen nicht, was zum System gehört und was es konstituiert, was gegen das System ist, es stört und scheitern lässt, ob das Schema der Ratten eines der Genese oder des Verfalls ist.“ (Serres)

Die sich bei Serres in einem Rauschen äußernde parasitäre Aktivität findet ihre Entsprechung im Sounddesign der Installation, die dynamisch angelegt ist. So reagiert der Sound auf die Konstellation der sich im Umfeld des Users befindlichen Objekte der 3D-Welt, und die Synthese daraus erschafft die gesamte Klangkulisse.

„Der Lärm bringt ein neues System hervor, eine Ordnung von höherer Komplexität, als die einfache Kette sie hat. Auf den ersten Blick führt dieser Parasit eine Unterbrechung herbei, doch auf den zweiten bringt er eine Konsolidierung. Die Stadt macht Lärm, aber der Lärm macht die Stadt.“ (Serres)

Die emotional-spielerische Erfahrbarkeit komplexer wissenschaftsphilosophischer Fragestellungen ist ein Ziel von KASKADE.
Die stereoskopische Projektion ermöglicht eine räumliche Darstellung, die den Eindruck des “Eintauchens” in die virtuelle Landschaft immens erhöht, und hilft somit, die Distanz zwischen Betrachter und der virtuellen Welt aufzulösen.

Leider ist diese Dokumentation nicht in der Lage, den räumlichen Eindruck der 3D Stereo-Projektion zu reproduzieren.