Bastian Boltze


Algorithmik I: Lucy

A Survey on Algorithmic Art


Lucy [link 01]

Lucy

Kurzdarstellung

Kurzbeschreibung

Kann ein Objekt, dessen sichtbarer Teil vom Erschaffer völlig unterbestimmt gelassen ist, allein durch seine Struktur und den Betrachter zum ästhetischen werden? Auch wenn beide, Erschaffer wie Betrachter, in Sachen der Ästhetik ziemlich unbedarft sind?

Um es etwas konkreter zu machen: Irgendwann - vielleicht in den 70ern - erfand Georg Nees den Algorithmus der Regentengrafik zur Herstellung einer grafischen Darstellung. Lucy ist eine Installation, die ihn implementiert - und er ist die Struktur, die durch uns fest vorgegeben ist. Nun hat jener Algorithmus allerdings die Eigenschaft, nur unter Angabe eines oder mehrerer Positionsparameter überhaupt etwas anderes zu produzieren als ein gänzlich leeres Bild, und diese Parameter werden erst durch die Betrachterin bestimmt, durch ihren Aufenthaltsort vor der Projektionswand. Es sind also nur der Algorithmus als Objekt und sie an dem Bild beteiligt, auch wenn ihre Interpretationshoheit hier ausgesprochen physische Züge annimmt.

Lucy entstand als Experiment im Rahmen eines Seminars über Medienkunst und erlebte ihre Premiere als eine von drei interaktiven Installationen auf der Ausstellung "Entgrenzung: Digitale Kunst zwischen Algorithmik und Interaktion" in Linz.

KünstlerInnen / AutorInnen

  • Bastian Boltze

Entstehung

Deutschland, 2006

Eingabe des Beitrags

bastian boltze, 14.02.2006

Kategorie

  • künstlerische Arbeit

Schlagworte

  • Themen:
    • Artistic Software |
    • Interaktivität |
    • Information
  • Formate:
    • Installation
  • Technik:
    • Optical Tracking

Ergänzungen zur Schlagwortliste

  • Fragment Shader |
  • Algorithmik

Inhalt

Inhaltliche Beschreibung

Behauptung: Die Algorithmik hat keinen Inhalt. Sie hat nicht einmal eine Form - nur eine Struktur.

Die in Lucy enthaltene Struktur ist der Algorithmus der Regentengrafik, welcher aus den folgenden Schritten besteht:
1. Nimm eine gerasterte Zeichenfläche und ein paar beliebige Punkte auf dieser Fläche, die Du Regenten nennst.
2. Denk Dir eine Funktion, die für je zwei Punkte einen Wert errechnet, den Du als den Abstand der Punkte von einander interpretierst - egal, was die Funktion tatsächlich berechnet.
3. Stelle für jeden Punkt der Zeichenfläche fest, welchem Regenten er nach dieser Funktion am nächsten liegt, und ordne ihn dessen Herrschaftsbereich zu.
4. Nimm Dir eine weitere Funktion, die für einen Punkt einen Farbwert berechnet - abhängig von dem Herrschaftsbereich, in dem er liegt, der Distanz zu seinem Regenten und vielleicht noch anderen Parametern.
5. Koloriere alle Punkte gemäß dieser Funktion.

Georg Nees hat diesen Algorithmus erfunden und ihm Form gegeben, indem er einige Bilder damit erstellte. Lucy überlässt diese Aufgabe dem Publikum, indem sie die Position jeder Person vor der Leinwand bestimmt und einen Regenten aus ihr macht.

Dadurch wird Lucy - zu einem Experiment, das zu ergründen versucht, ob bzw. wie Ästhetik ohne eine dedizierte Künstlerin entstehen kann. Denn weder kann dem Algorithmus eine solche Qualität beigelegt werden, noch ist davon auszugehen, dass das Publikum in seiner Heterogenität einen Willen zur geplanten Gestaltung vertritt.

Technik

Technische Beschreibung

Hardwareseitig besteht Lucy aus einer Projektionsfläche und einer an der Decke befestigten Kamera, die den Bereich vor dieser Fläche aufnimmt.

Die Software besteht wesentlich aus zwei in C++ handgestrickten Komponenten:

RCam ist eine simple Bilderkennung, die alle Personen trackt, die sich im Blickfeld der Kamera aufhalten. Dazu werden mittels Differenzbildung zu einem vorher aufgenommenen Bild des Bodens alle Objekte freigelegt und unter Ausnutzung der temporalen Kohärenz ihrer Bewegungen identifiziert. Die Positionsdaten der Personen werden an die zweite Komponente weitergeleitet.

MMarts implementiert den tatsächlichen Bilderzeugungsalgorithmus in Form eines Fragment Shaders, der auf der Grafikkarte des Rechners ausgeführt wird. Damit ist es zum Ersten möglich, das errechnete Bild in Echtzeit zu aktualisieren, wenn sich die Positionen der Zuschauer verändert haben. Zum Zweiten stehen verschiedene Distanz- und Kolorierungsfunktionen im Quellcode einzeln zur Verfügung, die in unregelmäßigen Abständen zufallsgesteuert zu einem neuen Gesamtprogramm zusammengesetzt werden können, welches den Bildern einen neuen generellen Stil verleiht.

Hardware / Software

Eingesetzt werden:
- ein Beamer
- eine Projektionsfläche
- eine DV-Cam
- ein Standard-PC mit halbwegs neuer Grafikkarte
- eine Software, die die Daten der Kamera dekodieren und an RCam weiterleiten kann (z.B. dvgrab)
- RCam und MMarts

Kontext

Hochschule / Fachbereich

Universität Hamburg
Informatik

URL der Hochschule

» http://informatik.uni-hamburg.de [link 02]

Betreuer des Projekts

Prof. Dr.-Ing. Steffi Beckhaus

Kommentar des Betreuers

Bastian Boltze beschäftigt sich in der Arbeit "Algorithmik I: Lucy" mit der „Interaktivierung“ klassischer Computerkunstansätze, die ihre Anfänge bereits in den 60er Jahren mit Nake und Nees hatten. Algorithmen, hier die Nees’schen Regentengrafiken, werden explorierbar und erlebbar gemacht. Ihr ästhetisches Potential wird jetzt nicht mehr nur noch in einer oder wenigen ausgewählten Instanzen direkt dem Betrachter vorgesetzt, sondern dem oder den Betrachtern kontinuierlich neu und unzensiert präsentiert. Die Betrachter werden integraler Bestandteil des Bildes, machen es überhaupt erst möglich und sichtbar, um dann die Kontrolle wieder an die zeitlichen Veränderungen des Algorithmus zu verlieren. Die konkrete visuelle Instanz geht über in neue Möglichkeiten – alle definiert in der Klasse des Algorithmus, nicht in seiner aktuellen Instanz. Das Werk ist nicht vorhersagbar und trotzdem nachvollziehbar beeinflusst durch die Besucher.
Diese Arbeit ist über ihren medienkünstlerischen Ansatz hinaus auf mehreren Ebenen sehr interessant: Mathematisch hat Bastian Boltze in dieser Arbeit die ästhetische Qualität der ursprünglichen Regentengrafiken einerseits durch Anwendung von verschiedenartigen mathematischen Funktionen und Abhängigkeiten und andererseits durch den Bruch mathematischer Konventionen erweitert. Computergrafisch hat er durch Einsatz moderner Shadertechniken die nötige Rechengeschwindigkeit erreicht, die zur echtzeitfähigen interaktiven Erfahrbarkeit der Bilder notwendig ist. Zur Verfolgung der Betrachterpositionen hat er Bildverarbeitungsalgorithmen entwickelt, die einzelne Betrachter über die Zeit voneinander unterscheiden und eindeutig verfolgen können. Interaktionsseitig ermöglicht er, dass mehrere Betrachter kollaborativ an der Exploration des Algorithmus arbeiten und das Ergebnis ästhetisch mitgestalten können. Die Exploration des reinen Algorithmus (Code) gewinnt Erlebnisqualität.

Die Installation "Algorithmik I: Lucy" wurde innerhalb weniger Monate von Bastian Boltze erstellt und bereits als Exponat in der Ausstellung „Entgrenzung: Digitale Kunst zwischen Algorithmik und Interaktion" auf der Tagung "Mensch & Computer 2005" in Linz gezeigt.

Seminar / Kurzbeschreibung

"Algorithmik I: Lucy" entstand im Kontext des Projektseminars "Medienkunst" der Arbeitsgruppe "im/ve" - "interactive media/virtual environments" - am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg. Ein Schwerpunkt der Arbeitsgruppe liegt auf der Entwicklung und Gestaltung neuartiger Schnittstellen und unkonventioneller Eingabemethoden für interaktive Anwendungen. Ziel der Veranstaltung war es, sich aus der "informatischen" Perspektive dem Thema Medienkunst zu nähern. Dazu wurde ein Künstler, Kurd Alsleben, zu einem Vortrag und Gespräch über Interaktion eingeladen, das ZKM besucht, Seminarbeiträge zu verschiedenen historischen oder konzeptuellen Themen der Medienkunst erarbeitet und jeweils ein eigenes interaktives Projekt umgesetzt.
http://imve.informatik.uni-hamburg.de/SS2005MediaArt.htm

Zuordnung Forschungsbereich

Interface-Entwicklung, Medienkunst, Computergrafik, Informatik

  • › digital sparks 2006 [link 03]

» http://lucy.bspot.de/ [link 04]

  • › A Survey On Algorithmic Art [PDF | 719 KB ] [link 05]
  • › Herrschaftsbereiche [JPEG | 23 KB ] [link 06]
  • ›  [JPEG | 110 KB ] [link 07]
  • ›  [JPEG | 94 KB ] [link 08]
  • › Development Setup [26 KB ] [link 09]
  • › Setup [JPEG | 52 KB ] [link 10]