Martina  Wiedleroither

Kurzfilme bewegen

Entwicklung neuer Präsentationsformen für Kurzfilme

Der Projektionsraum als Darsteller

Der Projektionsraum als Darsteller

Media Files

Content Description

Ausgangspunkt der Diplomarbeit "Kurzfilme bewegen" ist die Problematik der geringen Verbreitung und Anerkennung des Genres Kurzfilm. Durch die Entwicklung von Projekten, die die Besonderheiten von Kurzfilmen (gegenüber Langfilmen) herausstellen, soll dessen Eigenständigkeit als Kunstform betont und dessen Image verbessert werden.

Das Konzept für "Kurzfilme bewegen" umfasst drei unterschiedliche Ansätze für Berlin - MOBILE FILME, FILME FÜR ORTE (Salon Ackerstraße) & ORTE FÜR FILME, die im Grundsatz auf andere Städte und Situationen übertragen werden können. Die Einreichung der Arbeit bei <digital sparks 06> beschränkt sich auf die Darstellung des Konzeptes „Salon Ackerstraße – Filme für Orte.

Das Haus kann in einigen Punkten mit einem Ausstellungsraum verglichen werden:
Der Ausstellungsraum ist als Medium von meist verkannter, deshalb von vernachlässigter und unterschätzter Bedeutung. Er bietet den Ort, die unmittelbare Situation und den konkreten Kontext der Präsentation. Nicht allein die Ausstellungsobjekte und deren Kombinationen, sondern ebenso das Gebäude fungiert als Bedeutungsträger. Dieser Komplex aus miteinander in Beziehung stehenden und Beziehung bildenden Elementen erzeugt vielfältige Codierungen, die von Rezipienten wahrgenommen und interpretiert werden.

Die Ästhetik eines Raumes, Arrangements oder Objekts prägt den ersten Eindruck, bestätigt, irritiert oder enttäuscht Erwartungen, überrascht und weckt Neugierde. Ihre Bedeutung liegt vor allem im Erzeugen von Motivationen, in deren Folge Rezipienten Sensibilität, Aufnahmebereitschaft und Aufgeschlossenheit gegenüber dem Präsentierten entwickeln. Dem Raum Funktionen der sinnlichen Annäherung zu übertragen, liegt die Auffassung zu Grunde, dass der Ausstellungsbesuch grundsätzlich das Kennen lernen eines Gebäudes durch Betreten und Bewegen, Erfahren und Erleben von dessen Umfeld und Räumen beinhaltet. Demzufolge ist die Wahrnehmung einer Ausstellung nicht auf das Sensorische beschränkt, sondern muss als Verbindung des Sensorischen mit dem Motorischen verstanden werden. Die Poetik einer Ausstellung wird als Gefüge von Sinnesreizen wahrgenommen. Das Hauptcharakteristikum der Poetik ist eine fundamentale Mehrdeutigkeit, welche für den Rezipienten zur Herausforderung wird.

Aus meiner Untersuchung zur Situation des deutschen Kurzfilms und meiner Recherche zur Entwicklung des Kinos geht hervor, dass dem Kurzfilm im Kino wenig Chancen eingeräumt werden – nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, weil das Kino für das Zeigen von Kurzfilmen nicht prädestiniert ist. Im Gegensatz zur Neutralität des Ortes Kino und der Gestaltlosigkeit seines Publikums schaffe ich mit der Präsentation der Kurzfilme in der Ackerstrasse einen Kult-Ort, mit dem sich der individuelle Betrachter identifizieren kann und der etwas Besonderes darstellt. Als Folge entsteht unter Kennern ein Gruppengefühl, ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Die Aktivität des Betrachters beim Durchschreiten des Hauses grenzt sich von der Passivität des Kinopublikums ab. Der Betrachter kann selbst bestimmen wie oft er jeden einzelnen Film ansehen möchte, welche Filme er ansehen möchte und aus welcher Perspektive. Beim Durchgehen des Hauses ergeben sich ungewöhnliche Blickpunkte auf das Filmmaterial, zwischen denen er frei wählen und die er entdecken kann. Das Ausstellungskonzept gibt keine klare Wegeführung durch das Haus vor – vielmehr soll der aktive Besucher Orte und Filme selbst entdecken. Die Betrachter werden zudem zur Kommunikation untereinander angeregt.

Mein Entwurf geht auf das jahrzehnte alte Streben der Erweiterung des Films zum Erlebnisraum, zur räumlichen Erfahrungswelt ein. Durch das Zeigen der Filme in Räumen, die mit Geschichten belegt sind und durch deren Durchschreiten und Wahrnehmen, wird der Film lebendiger und überwindet die 2-Dimensionalität der klaren Ausrichtung auf eine räumliche Richtung. Der Film wird begehbar und umgibt den
Betrachter.

Susan Sontag sieht die emotionale Berührung, d.h. die sinnliche Erfahrung von Kunst als elementar an. „Wirkliche Kunst hat die Eigenschaft, uns nervös zu machen; Kunst ist ein sinnliches Erlebnis, ein direkter, starker Impuls“. Da sich das Image des Hauses auf den Film überträgt, kann diese emotionale Wirkung verstärkt vom Betrachter wahrgenommen werden.

Das Zeigen der Filme in der Ackerstrasse beinhaltet das Thema der Beseelung von Architektur. Die Erneuerung des Gebäudes erfolgt nicht wie auf übliche Weise durch Renovierung sondern durch die Projektion der Filme. Film und Architektur gehen eine Wechselwirkung ein. So wie die Architektur den Film bereichert, beseelt der Film wiederum die Architektur.

Durchgängiges Ziel bei der Gestaltung des Salon Ackerstrasse ist es, die Atmosphäre des Hauses zu unterstützen bzw. zu transportieren. Daher werden Elemente wie Tapetenmuster (Plakat), Lichtreklame (Fassade) und Hausbeschriftung aufgegriffen und in abgewandelter Form eingesetzt. All diese Elemente tragen dazu bei, dass der Besucher vom Gebäude inspiriert wird, und der Kurzfilm in der Folge durch die nicht-neutrale Umgebung eine weitere Bedeutung erlangt. Dabei wird das Haus nicht nur auf seine Vergangenheit reduziert, sondern gerade das Nebeneinander von jetzigen Bewohnern, aktuellen Filmen, verlassenen Wohnungen und historischer Atmosphäre macht den Reiz des Gebäudes aus. Dabei bleibt dem Betrachter offen, welche der Charakteristika des Hauses er als besonders stark wahrnimmt.

Als Thema für meine Diplomarbeit habe ich bewusst ein sehr freies, interdisziplinäres Thema gewählt, das über die Grenzen der klassischen Innenarchitektur hinaus die Bereiche Film, (Produkt- und Kommunkations-) Design und Ausstellungsgestaltung tangiert und verbindet. Das Ergebnis der Arbeit blieb lange offen und entwickelte sich erst im Laufe der ausführlichen wissenschaftlichen Recherche und Bearbeitung des Themas. Wichtig war mir, Lösungen für eine Problematik aufzuzeigen, in dem ich Gewohntes und Bewährtes immer wieder hinterfragte und nach neuen Wegen suchte. Die Beobachtungen, Untersuchungen und Experimente würde ich sehr gerne weiterführen.