Björn Bischof, Philipp Michels

[AudioCave] Mord im Bagdad-Express

Eine auditiv-interaktive Hörspiel-Installation

Nominee of the digital sparks award 2006

Die AudioCave geöffnet

Die AudioCave geöffnet

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Content Description

1. Idee

Braucht man Bilder und aufwendige Graphiken, um ein Spielerlebnis zu ermöglichen? Welchen Grad an Immersion kann man für einen Spieler allein durch Ton erreichen? Wie kann man ein individuelles Erlebnis schaffen, ohne, dass die non-linearen Erzählstrukturen zu komplex werden? Dies waren die ersten, spannenden Fragen am Anfang des Projektes. Neben den Methoden und der Qualität der Tonaufnahmen spielten also auch die Detailtiefe und die Vernetzung der Inhalte und die Abstimmung der Soundsysteme eine Rolle.

2. Rahmenhandlung

Spielmotivation für den Besucher ist die Auflösung eines Mordes in begrenzter Zeit. Man spielt den britischen Agenten Lawrence Carter, der sich auf dem Weg nach Bagdad befindet. Wir schreiben das Jahr 1900. Züge waren eine schnelle und angenehme Alternative zu den langen Schiffsreisen und die Erschließung Anatoliens ermöglichte inzwischen eine Fahrt bis in den nahen Osten. Unsere Geschichte begrenzt sich nur auf einen Waggon mit drei Abteilen und einem Speisebereich mit Bar, der auf dem Weg von Paris nach Istanbul unterwegs ist.

3. Konzeption der Charaktere und des Ablaufs

Um die Lösung eines Rätsels - in dem jeder Besucher eine unterschiedliche Informationsbasis erlangt – zu ermöglichen, mussten viele Aspekte beachtet werden. Die Charaktere müssen klar wiedererkennbar sein; jeder Weg durch die Installation muss zur Lösung des Mordfalles befähigen; die Inhalte dürfen in ihrer Detailtiefe die Besucher nicht überfordern, aber müssen trotzdem nur in Kombination und Assoziation zur Lösung der Geschichte führen.

Um Continuity-Fehler zu vermeiden, wurden zuerst ausführliche Backstories für die Charaktere im Zug formuliert. Aus diesem Fundus entstanden erste Ideen zum Ablauf und zur Dramaturgie der Rahmenhandlung. Nachdem die Personenkonstellationen und die Rahmenhandlung feststanden, wurden die Bewegungen der Charaktere in den vier Zeitabschnitten fixiert und so die möglichen Gesprächssituationen ermittelt, für die dann Dialoge produziert wurden. Durch Nationalitäten-Klischees und dem zugehörigen Akzent wird die Vorstellungskraft und Wiedererkennung beim Hörer unterstützt. Die Überführung des Mörders erfolgt über Verdachtsmomente, Indizien aber auch durch das Wissen um die Motive der einzelnen Charaktere bzw. deren Entschärfung. Neben einer gewissen Redundanz der lösungsrelevanten Informationen wurden also auch mehrere Lösungswege ermöglicht.

Ein Spieldurchlauf gliedert sich in vier verschiedene Zeitabschnitte, um neue Dialoge zugänglich zu machen, die sich auf Ereignisse der Rahmenhandlung beziehen. Der Mord geschieht in der Mitte der Zeit und wird für alle hörbar über die Surroundanlagen abgespielt.

4. Produktion der Inhalte

Sämtliche Audioinhalte der AudioCave wurden professionell produziert. Zunächst einmal gibt es die Dialoge und innere Monologe, die der Spieler über seine Funkkopfhörer wahrnimmt, wenn er einen bestimmten Auslösebereich betritt.

Neben diesen Kopfhörerinhalten wurde für das Speiseabteil der Installation ein akustisches Pendant im Studio nachgebaut. Diese Aufnahmen wurden im 5.1-Surround-Format aufgezeichnet, um sie in der Installation originalgetreu wiederzugeben.

Die Atmogeräusche des Zuges sind hauptsächlich in der Harz-Brockenbahn, einer historischen Dampflokomotive, mit mehreren über den Zug verteilten Mikrofonen aufgenommen worden. In der Installation wird diese Aufnahmesituation durch die Aufstellung der Surround-Lautsprecher in Reihe imitiert, so dass ein sehr realistisches Klangbild des Zuges entsteht. Zwei Subwoofer sorgen dabei für das nötige basslastige Empfinden der Waggonbewegung. Zusätzlich wurde die Atmo mit diversen Geräuschen der Bahnhöfe und der Fahrtumgebung angereichert. Die AudioCave ist damit für den Besucher auch ohne die eigentliche Spielhandlung ein interessanter Ort ist, der zum Verweilen und Lauschen einlädt.

5. Realisation / Spielablauf

Nach zwei Semestern interdisziplinärer Projektarbeit an der interaktiven Story, den Studioaufnahmen und der Installationstechnik wurde die AudioCave im Februar 2005 in der Aula der Hochschule der Bildenden Künste Braunschweig präsentiert. Der Spielablauf in der Cave wird im Folgenden genauer erläutert.

Nach Ausgabe und Einweisung in die Technik und einer kurzen Einführung in die Spielhandlung betreten mehrere Spieler gleichzeitig als Detektiv die AudioCave und damit einen Zugwaggon des Bagdad Express.

Der Zug verlässt den Bahnhof und die Besucher können sich in den leeren Abteilen und im übrigen Teil des Waggons bewegen und hinsetzen. Mittels Kopfhörern begegnen die Spieler den Zuggästen und dem Zugpersonal, indem ihnen das entsprechende Audiomaterial in bestimmten Auslösebereichen vorgespielt wird. Betritt man ein Abteil ohne Gast, wir dieses über das Stilmittel des „inneren Monologs“ durchsucht. Im Speiseraum kann man den Gesprächen der Gäste am Tisch oder an der Bar zuhören.

Welche Informationen die Detektive im Spielverlauf bekommen, ist abhängig von Ort, Zeit und auch von ihrem zurückgelegten Weg. Hierdurch ist es möglich, jeden Spieldurchlauf anders zu erleben.

In 20 Minuten lernen die Spieler die Mitreisenden im Waggon kennen, erleben zur Hälfte der Spielzeit den Mord und können anschließend durch Besuche der richtigen Abteile dem Mörder auf die Spur kommen, denn dieser befindet sich noch im Zug. Der Bagdad Express beendet seine Fahrt im nächsten Bahnhof.

Dort angekommen, steigen die Detektive aus der Installation aus und haben dort per Terminal die Möglichkeit, die Lösung des Mordfalls per E-Mail-Adresse zugeschickt zu bekommen oder ein weiteres Mal die AudioCave zu besuchen.

6. Zukunft der Installation

Inzwischen hat das Science Center Phaeno in Wolfsburg Interesse an der AudioCave bekommen und stellt die Installation in neuen Design und neuer Technik von Anfang April bis Ende Juli 2006 aus. Dabei hat sich das Konzept inhaltlich kaum geändert. Dank neuer Mittel kommt es zu einem hochwertigeren Bühnenaufbau und besserer Audiotechnik. Für das nun eingesetzte InEar-Kopfhörer-System von Sennheiser werden die ehemals monauralen Kopfhöreraufnahmen mittels Kunstkopf-Technik mit Raumklang versehen.