Marcus Klug, Axel Quack

Hactivist.de

Ströme der Technik - Ströme des Denkens. Experimenteller Entstehungsprozess einer crossmedialen Kommunikationsplattform.

Nominiert für den
Digital Sparks Award 2006

Hactivist

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Inhaltliche Beschreibung

Medien - wie die Schrift - verschwinden nicht. Sie tauschen ihr Monopol gegen eine Position ein, die auf einer tieferen Stufe der Hierarchie reduziertere Aufgaben wahrnimmt. In der Welt des Digitalen sind sie Durchgangsstationen, um von den Buchstaben in die Welt der Bewegbilder, Soundsequenzen und Rechenoperationen zu gelangen. In Schriftform zu verkünden, was sich in ihr dem Ende zuneigt, ist wie das Bild eines Maschinenstürmers, ein starkes, romantisches Motiv, das vom Digitalen redigiert wird. Von 'Freiheit'und 'Aufklärung' kann in dieser Hinsicht nur gesprochen werden, wenn man damit beginnt, das Digitale 'dingtheoretisch' zu reflektieren. Das bedeutet, im Digitalen selbst zu operieren und mittels dieser Operationen Medien- und Kommunikationstheorie zu betreiben. Der einzelne Forscher arbeitet zusammen mit anderen Spezialisten an einer experimentellen Kommunikationsplattform, in der Formate generiert werden, die neben Schrift, auch Zahlenoperationen, Sound- und Bildseqenzen berücksichtigen. Mit 'Hactivismus' ist dabei eine Begrifflichkeit angesprochen, die nicht nur harte Programmiercodes fokussiert, sondern Formen des digitalen, zivilen Ungehorsams thematisiert. Wie kann ästhetischer Widerstand geleistet werden, "der nicht zerstört, sondern kurzzeitig aufhalten will?" (Roland Barthes) Wie schafft man es - innerhalb einer Kommunikationsplattform - das Augenmerk auf ästhetische Prozesse zu lenken, die geltende Standards hinterfragen und passive Formen der Rezeption kritisisieren? Ist es möglich, die zwei disparaten Seiten der Kulturpraxis - Rezeption und Produktion - so weit transparent zu machen, dass der 'User' plötzlich zum 'Produzenten' werden will? Was bedeutet 'politische Mobilisierung' im digitalen Umfeld, wenn neben den einzelnen Subjekten, auch programmiergestützte Umwelten bedacht werden sollen?

Gegen Technologie und kommunikative Ausdifferenzierung hilft kein von außen verkündeter, apostelhafter Aufklärungsgestus oder die Idee, dem computerisierten Leben durch Zerstörung Einhalt zu gebieten. Aus dieser Entwicklung heraus lassen sich zwei Forderungen formulieren: 1. Aufklärung kann nur unter computerisierten Bedingungen statt finden, auch wenn Europas DSL-Standard die Entwicklungsländer noch lange nicht erreicht hat. 2. Politische Formen des Widerstands oder des zivilen Ungehorsams, frei nach dem Hackerethos, sind an die maschinengestützten Nervenbahnen der Kommunikation angebunden.

Für die Zukunft von Wissenschaft bedeutet diese Erkenntnis, neue Formen von Ethik und sozialen Netzwerken zu berücksichtigen und auf dieser Basis, Anschlusskommunikation zu gewährleisten. So ermöglicht beispielsweise die Symbiose von Internet und Fernsehen eine dezentrale Streuung, Automatisierung und höhere Interaktivität von Sendeformaten. Nehmen wir die Beispiele Broadcatching [1] und Streaming [2]. Im Gegensatz zu der Distribution von Inhalten über einen Verteilmodus wie z. B. Rundfunk kann der Benutzer beim Broadcatching nicht nur die Quelle, also beispielsweise einen Sender, sondern auch den Inhalt selbst auswählen. Die Inhalte werden dabei nicht vorab selektiert, sondern aktiv gesucht; der Grad der Interaktivität des Mediums nimmt dabei zu. Beachtet man dabei auch das Streaming, das Übertragen von Bewegbildern und Sounds in Echtzeit, werden herkömmliche Distributions- und Verteilungspraktiken neu justiert, die sich durch autonome Netze (kabellos) einstellen können.

Wenn Inhalte im WWW per Creative Commons License - je nach lizenzrechtlicher Abstufung - der Verwertungsindustrie ihre 'Datenherrenschaft' (Vgl. Helmut Spinner) streitig machen [3], ist der Weg geebnet für eine zukünftige Generation von Rezipienten und User, die ihre Formate dezentral streuen und interaktiv am Produktionsprozess teilhaben können.

Innerhalb unserer experimentellen Kommunikationsplattform geht es darum, Medien-, Design- und Techniktheorie über verschiedene Distributionskanäle und Dastellungsarten (u. a. Podcast, Web-TV) miteinander zu verknüpfen und per Creative Commons License dem User zur Verfügung zu stellen, um eigene Remixarbeiten- und Formatideen auszubauen. Damit wird der Forderung nach einer 'Bildenden' und vor allem Offenen Wissenschaft nachgekommen, die sich weder vor ästhetischen, noch technischen oder politischen Fragestellungen verschliesst.

Bei unserem ersten Format - "Second Order Televison" - wird der Versuch unternommen, Fernsehen auf zweiter Ebene zu realisieren. Wir stellen uns dabei eine Kopplung aus Medieninformatik, Theorie und kultureller Praxis vor. "Second Order Televison" verweist auf ein Web-TV-Format, das sich innerhalb von computergestützten, objektgenerierten Umwelten bewegt. Neben Web-TV können bei einer solchen mehrdimensionalen Kommunikationsplattform auch podcast-gestützte Formate integriert werden, etwa Radiosendungen oder experimentelle Musiksequenzen.

Zunächst gestaltet und programmiert man eine Kommunikationsplattform, in der verschiedene Formate, Gestaltungsoberflächen und Rechenoperationen abgekoppelt voneinander entwickelt werden können, bevor sie wieder zusammengeführt werden. Im Falle von "Second Order Televison" wird versucht, den Ansatz einer Kybernetik zweiter Ordnung, die für die Beobachtung von Beobachtungen sensibilisiert, 'dingtheoretisch' fruchtbar zu machen. Formate wie Web-TV können durch spezifische Themenstellungen erneut beobachtet und bearbeitet werden.

Im Falle eines Formates wie "Second Order Televison" reicht es nicht aus, Interviewreihen mit Künstlern, Designern und Professoren zu produzieren und diese 'frei' zur Verfügung zu stellen. Die Transferleistung, der Übergang von der ersten zur zweiten Ordung wird erst dadurch vollzogen, dass theoretische Erkenntnisse in den einzelnen Web-TV-Sendungen auf ihren Wahrheitswert untersucht werden. Schon zu Beginn wird hierbei die Produktion an die Theoretisierung angebunden und beides im Format selbst thematisiert/reflektiert. Die Rekursion ergibt sich auf zweiter Ebene, wenn alle bis dato produzierten Formate durch eine Neu-Bearbeitung, einen Remix in andere Sinnzusammenhänge überführt werden. Der Remix wird dann, in Analogie zu Spencer Browns Idee des 'Re-Entry', zu einer zweiten Form der Unterscheidung.

Auf Medien übertragen (im interpretatorischen Sinne): der Aussenbereich einer Sequenz, der nicht bezeichnet wird, aber auf der Aussenseite der Form mitschwingt, kann über eine zweite Ebene der Differenz, in der medialen Rekonfiguration - über die Form - als bezeichnete Seite einer vorherigen unbezeichneten Seite der Unterscheidung in die Form wieder eintreten. Da die Figur des 'Re-Entry' nur äußerst schwer zu erklären ist, ist es hifreicher sie an einem praktischen Beispiel darzulegen: Eine Sequenz, die beispielsweise in Filmform vorliegt, wird in einem Remix über eine Form der Unterscheidung anders unterschieden. So kann man sich z. B. auf der 'Filterebene' einen Frequenzbereich vorstellen, der vorerst nicht hörbar war, aber mitschwingte und nun plötzlich im Hochfrequenz-Bereich plötzlich wieder im 'Re-Entry' auftaucht. In der Kunst kennt man die Fokussierung eines Frequenz-Bereiches beispielsweise aus den Bildern einzelner Surrealisten, wenn plötzlich der Niedrigfrequenz-Bereich über die gesamte Bildfläche verteilt wird. Man spricht diesbezüglich auch von der 'Unschärfe' eines Bildes, einer verschwommenen Bildoberfläche oder vom Effekt der 'Weichzeichnerästhetik'.

Konventionelles Fernsehprogramm lässt weder ästhetische Interventionen zu, noch verändert sich seine Codierung durch Rückkoppelungseffekte auf zweiter Ebene. Der Sendebetrieb lässt sich mit der Kybernetik erster Ordnung vergleichen, in der es darum geht, das Verhalten und die Gewohnheiten der Zuschauer/Kosumenten anhand von Statistiken und Einschaltquoten zu bewerten. Kulturprogramme erfüllen dabei zumeist eine Alibibifunktion oder dienen einer exklusiveren Imagebildung; in den seltesten Fällen aber der Intention, Aufklärung und ästhetischen Widerstand zu leisten.

Web-TV ist dagegen ein Format von vielen, das hypermedial zum Einsatz kommt. Je nachdem welche Rechte die User einer Kommunikationsplattform besitzen, können sie ästhetische Prozesse durch ihre Anteilnahme und Interaktion beeinflussen. "Second Order Television" will dabei die Funktion konventioneller Fernsehdispositive verlassen, indem das Bewegbild als digitaler Strom sich seinen Weg mit anderen Strömen dezentral über verschiedene Kanäle teilt. Dabei werden seine Inhalte "frei" zur Verfügung gestellt, damit sie von anderen Aktivisten, Kreativen und Medienkünstlern bearbeitet werden können. Diese Praxis könnte auf eine Kybernetik höherer Ordnung verweisen, in der das Kontrollierende und Objektivierende zugunsten einer experimentellen Praxis, einer offenen und mit dem Unlösbaren rechnenden Wissenschaft hinter sich gelassen wird.

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Broadcatch
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Streaming
[3] http://waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/Texts/TCG.html