Niklas Roy

Dokumat 500

Ein vollautomatischer Dokumentationsroboter

Nominee of the digital sparks award 2006

Dokumat 500 mit Flightcase

Dokumat 500 mit Flightcase

Media Files

Content Description

Der Name meines Roboters ist "Dokumat 500", er leitet sich aus seiner Funktion als Dokumentationsautomat ab. Die zum Namen gehörende Zahl "500" bezeichnet auf ironische Art und Weise den Umfang seiner Fähigkeiten. Denn der Roboter gibt zwar vor Dokumentationen erstellen zu können, das Produkt seiner Bemühungen kann aber nicht den Erwartungen entsprechen, die der Zuschauer im Allgemeinen an eine Videodokumentation hat. Ein Roboter, der diese Aufgabe zur vollen Zufriedenheit lösen würde, hieße auch sicher mindestens "Dokumat 1000".

Ausgangspunkt meiner Überlegungen war, dem Video Amateur seine Sisyphus-Arbeit abzunehmen. Es ging um die Mühsal des Aufzeichnens und Schneidens ständig wiederkehrender Motive in immer ähnlichen Situationen und die Möglichkeit, diese Tätigkeit zu automatisieren. Ein ziemlich eng umrissenes Tätigkeitsfeld also, das sich zwischen Hochzeit und Hotelpool erstreckt.

Ergebnis meiner Arbeit ist allerdings ein Wahrnehmungsroboter. Die Priorität des Menschen für das Wahrnehmen, also etwas für wahr zu halten, liegt in unserer modernen Welt ganz stark im Visuellen. Wir halten etwas für wahr, wenn wir es gesehen haben. Die Medien erweitern unser Blickfeld, indem sie uns eine Bilderflut präsentieren, die die Welt spiegelt.
Wir sehnen uns danach, das eigene Leben der Vergänglichkeit zu entreißen, indem wir es in Bildern fixieren. Gleichzeitig haben wir in unserer Entwicklung bemerkt, dass wir eben vieles zunächst nicht sehen. Wir entdecken immer wieder neues und knüpfen neue Zusammenhänge, die zu unserer Weiterentwicklung beitragen. Die Perspektive Anderer hilft uns dabei. Mit diesen Sehnsüchten und Einsichten spielt Dokumat 500.
Der Roboter filmt automatisiert Zufallsaufnahmen, die uns eine andere, ungewöhnliche Sicht auf die Welt ermöglichen. Er hinterfragt die Möglichkeit eines objektiven Blicks auf das Geschehen. Er selbst ist Plattform für Experimente und seine Videos bieten Raum für Inspiration und Interpretation.

Die von mir gebaute Maschine funktioniert zwar offenbar in all jenen Situationen, für deren Einsatz sie ursprünglich bestimmt war; eine aufwändige Sensorik vermeidet beim autonomen Umherfahren sowohl den Absturz in den Hotelpool, als auch den Zusammenstoß mit dem Brautpaar.
Das Gerät nimmt Bild und Ton auf und schneidet, wie gefordert, den Videofilm direkt bei der Aufnahme.
Da sich die Elektronik des Roboters jedoch erst gar nicht die Mühe macht, Bildinhalte zu erkennen und auszuwerten, bleibt das gefilmte Ergebnis zu weiten Teilen dem Zufall überlassen. Der Bestandteil des steuernden Algorithmus, welcher selektiert, was gefilmt wird und was nicht, stützt sich einzig und allein auf die vergehende Zeit. Die Länge der Einstellungen variiert, der Code sorgt dafür, dass im fertigen Film sowohl schnell geschnittene Sequenzen, als auch elegische Phasen vorkommen. Der Rhythmus des Videos orientiert sich an den Ergebnissen allgemein verständlicher Filmsprache.

Der Roboter erkennt in der Abfolge der von ihm gefilmten Bilder keinen Zusammenhang. Der menschliche Betrachter kann aufgrund seiner Konditionierung allerdings nicht umhin, die einzelnen Einstellungen im fertigen Film zu verknüpfen. Unwillkürlich entdeckt er beim Ansehen der Videodokumentation inspirierende Sequenzen und bizarre Handlungsstränge. Wiederkehrende Bildmotive ziehen sich als roter Faden durch das Video. Durch seine Zufallssteuerung zeigt der Roboter neben Unerwartetem auch Vorhersehbares. Er komponiert seine Bilder zuweilen auf ganz herkömmliche Weise, gelegentlich weicht er von unseren Sehgewohnheiten jedoch ab. Oft scheint ihn das Hintergründige viel mehr zu interessieren als das Offensichtliche. Er lenkt die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Dinge, für deren Betrachtung wir uns sonst keine Zeit nehmen würden, oder auf Situationen, für deren eindringliche Beobachtung wir nicht die benötigte Dreistigkeit hätten. Er stellt Zusammenhänge her, die uns erheitern. Gelegentlich sind auch die von ihm gedrehten Videos langweilig, aber ungewöhnlich sind sie immer.

Der Roboter selbst entspricht in seinem Erscheinungsbild exakt seiner Aufgabe. Er sieht aus wie ein Videofilmer, mit Kamera und Stativ, nur dass eben der Hobbyfilmer abwesend ist. Das autonom umherfahrende Stativ erregt ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Sein Auftreten wird - nicht zuletzt seiner Größe wegen - fast als menschlich wahrgenommen. Sein Operieren auf Augenhöhe und die mit der Bewegung des Roboters im Raum korrespondierenden Kameraschwenks unterstreichen beim Betrachter den Eindruck, ein intelligentes Gegenüber vor sich zu haben.
Tatsächlich besteht ein großer Teil des steuernden Programms aus einem Code, der den Bewegungsabläufen des Roboters den Ausdruck eines neugierigen Wesens verschafft.
Der Lichtschalter an der Wand scheint ihn genauso zu interessieren, wie ein Gespräch zweier Personen. Dies reizt Menschen in seiner Gegenwart, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Je nach Situation wird er als forsch empfunden, oder als unterhaltsames Gegenüber akzeptiert. Genauso unterschiedlich äußern sich die Reaktionen auf ihn.

Die Kamera selbst filmt so weitwinklig wie möglich. Zum einen ist dadurch die Wahrscheinlichkeit, etwas Spannendes im Bild zu haben, am höchsten. Zum anderen kommt die Tiefenwirkung der häufigen Kamerafahrten so voll zur Geltung. Nachdem die Kamera nur in zwei Achsen geschwenkt wird, bleibt auch der Horizont immer gerade. Dadurch ergibt sich zwangsläufig ein akzeptables Bild, denn der einzige Spielraum welcher dem Zufall beim Cadrieren der Einstellungen bleibt, ist neben dem Filmen ganz gewöhnlicher Aufnahmen, das Erstellen von Einstellungen mit kuriosen Anschnitten. Und an die haben wir uns beim Betrachten von fotografischen Aufnahmen längst gewöhnt.

Wenn die Kamera filmt, wird ein neben ihr montierter Scheinwerfer eingeschaltet. Dieser erhellt nicht nur dunkle Szenarien, sondern er fordert auch zur Interaktion mit dem Gerät auf. Wer unbedingt auf dem fertigen Video zu sehen sein möchte, produziert sich vor der Linse.
Allerdings wird der recht helle Spot in Räumen mit gedämpfter Beleuchtung auch schnell als aufdringlich empfunden. Bisweilen stellt der Roboter umstehende Personen zur Schau. Er unterstreicht ihre Anwesenheit, auch wenn sie lieber unbeobachtet blieben, und diesen unangenehmen Moment hält er dann auch noch im Film fest.

Der verwendete Camcorder zeichnet auf VHS-C Kassetten auf. Dieses Videosystem erfüllt eine wesentliche Anforderung: Die vom Roboter gefilmten Videos liegen gleich nach dem Aufnehmen in einer fertigen Fassung vor und zwar in einem Standardformat, das man mit einem herkömmlichen Abspielgerät ansehen kann. Digitales Video kommt hierfür nicht in Frage, da man es zunächst auf DVD brennen, oder auf VHS überspielen müsste. Die kompakten VHS-C Kassetten kann man aber mit einer Adapterkassette direkt in jedem VHS-Rekorder abspielen.

Das fertige Video wird in Ausstellungssituationen sofort präsentiert. Das Flightcase des Roboters dient zugleich als Podest für VHS-Player und Fernseher. Anschließend, wenn ein neues Band vorliegt, wandert das bislang in einer Schleife gezeigte in ein Archiv, welches sukzessive aufgebaut wird. Im Flightcase ist Platz für fünfundfünfzig Kassetten reserviert.