Lasse Scherffig


EyeVisionBot

Ein System zur blickbasierten Bildersuche und dessen medientheoretische Reflektion.


EyeVisionBot im Medienmuseum des ZKM [link 01]

EyeVisionBot im Medienmuseum des ZKM

Inhalt

Inhaltliche Beschreibung

Der Blick ist, so könnte man sagen, das Interface durch das ein Betrachter Zugang zu Bildmedien erhält. Im Gegenzug ließe sich der Blick dann als das Interface sehen, durch das ein Bildmedium Zugang zu seinem Betrachter erhalten kann.
EyeVisionBot nutzt diese Ein-/Ausgabedualität des Sehens als Grundlage für ein Computerinterface, das ein Blickerfassungssystem verwendet. Das Ziel ist dabei zunächst, einem Betrachter von den Augen abzulesen, welche Art von Bildern er sehen möchte.
Ein solches Ziel zu erreichen ist natürlich in der Praxis problematisch, wenn nicht unmöglich. Das Interface EyeVisionBot versteht sich daher als Versuch, die Machbarkeit, aber auch die Grenzen eines solchen Unterfangens auszuloten und gleichzeitig diese durch die Konzeptionierung des Interfaces als Museumsinstallation öffentlich sichtbar und erlebbar zu machen. Im Medienmuseum des ZKM stellt EyeVisionBot darüber hinaus einen experimentellen Zugang zur Bilddatenbank des Medien Kunst Netzes zur Verfügung.
Die theoretische Arbeit "It's in Your Eyes. Gaze Based Image Retrieval in Context." ist parallel zur Entwicklung des EyeVisionBot entstanden. In ihr wird das System in verschiedene Kontexte gerückt, um so zu Erkenntnissen über die Rolle von Interfaces und ihrer Entwicklung zu kommen. Die Verknüpfung der verschiedenen Kontexte folgt dabei einer Methode, die sich eher der Bricolage eines Marcel Duchamp als dem ingenieurwissenschaftlichen Diskurs verpflichtet fühlt, zugleich aber letzteren immer im Blick behält.
Dazu werden zunächst in drei Kapiteln drei Kontexte definiert: "Kunst", "Wissenschaft" und "Interface". Für jeden dieser Kontexte wird dann aufgezeigt, welche Rolle die Blickerfassungstechnologie darin spielt und spielte. Anschließend werden jeweils wichtige Ideen und Entwicklungen, die für den EyeVisionBot relevant sind, erläutert.
Darunter sind die Rolle von Interaktivität in der Medienkunst, das Konzept der Closed-Circuit-Kunst, die Informationsästhetik in der Nachfolge von George David Birkhoff und Max Bense, gegenwärtige Entwicklungen in der Suche und Visualisierung von Informationen und schließlich eine eingehende Betrachtung des Interfacebegriffs. Dieser wird zunächst unter Rückgriff auf verschiedene Theoretiker (wie Donald Norman, Brenda Laurel, Terry Winograd oder Matthew Fuller) rekonstruiert, wobei insbesondere die Unterschiede ihrer jeweiligen Definitionen berücksichtigt werden. Im Verlauf dieser Rekonstruktion erscheint der Interfacebegriff als einer kontinuierlichen Verschiebung unterworfen. Diese Verschiebung beginnt mit der Vorstellung, ein Interface sei ein Punkt, an dem psychophysische Interaktion stattfindet, geht über die Vorstellungen ein Interface sei eine gestaltete (Ober-)Fläche oder ein Raum für Kommunikation und endet mit der Vorstellung, dass alles ein Interface sei.
Anschließend wird der Interfacebegriff mit Hilfe von Michel Foucault's Buch "Überwachen und Strafen" neu definiert. Die (Informatik-)Praktiken des Erstellens von "Scenarios" und "Use Cases" und das "User Modeling", also die Benutzermodellierung, werden dabei als Praktiken und Methoden der Modellierung von Benutzern im Sinne einer Erzeugung dieser Benutzer und einer Einschreibung möglichen und richtigen Verhaltens gelesen. Daraus folgt, dass Interfaces generell als Systeme der Definition und Durchsetzung von Verhalten und damit als Disziplinarsysteme im Sinne Foucaults gelesen werden können. In diesem Zusammenhang wird die Nähe algorithmischer Überwachungssysteme (des algorithmic CCTV) zu EyeVisionBot im speziellen und Mensch-Maschine-Schnittstellen im allgemeinen herausgestellt.
Trotz der Unterteilung der Arbeit in drei klar abgesetzte Themenfelder steht die assoziative Verknüpfung der Themen im Vordergrund. Beispielsweise kommen bei der Betrachtung von Closed-Circuit-Installationen Kunstgeschichte, Überwachungstechnologie und das an Feedback orientierte Denken der Kybernetik zusammen.

Kontext

Hochschule / Fachbereich

Universität Bremen
Informatik

URL der Hochschule

» http://www.uni-bremen.de [link 02]

Betreuer des Projekts

Prof. Dr. Frieder Nake

Kommentar des Betreuers

Die Einreichung von Lasse Scherffig kommt aus seiner Master-Thesis zum M.Sc. in Digital Media, einem internationalen Studiengang der Universität Bremen. Die Thesis hat den Titel "It’s in your eyes. Gaze based image retrieval in context". Die Arbeit wurde am ZKM angefertigt, ich habe sie aus Bremen betreut. Im Kern ist sie eine Software-Entwicklung, die zu einer interaktiven Installation am ZKM geführt hat. Die Installation ist dort zu besichtigen. Die Arbeit wurde unter die Publikationen des ZKM aufgenommen.

Das Werk ist zwischen Kunst und wissenschaftlichem Experiment anzusiedeln. Dem Betrachter wird in großer Projektion ein Feld mit Bildmaterial angeboten. Seine Blickrichtung wird automatisch verfolgt und je nachdem, auf welches Bild er den Blick innerhalb des Feldes konzentriert, wird der dortige Bildinhalt als Anzeichen seines aktuellen Interesses gedeutet. Aus einer Bilddatenbank werden weitere Bilder geholt und angeboten, die dem durch Blick definierten In halt nahe stehen. Hieraus erklärt sich der Titel, dass es nämlich um Bildaufsuchen geht, diese Suche aber durch den ikonisch gerichteten Blick, nicht durch den symbolisch orientierten Fingeranschlag geleitet wird.

Die Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie künstlerische, informatische und interaktive Fragestellungen aufgreift. Scherffig stellt sich ihnen und schreibt in essayistischer Form und um Knappheit bemüht einen Text, der aus dem Rahmen gewöhnlich zu erwartender Theses deutlich hervortritt: durch die besondere Thematik, durch die Art der Interaktion (fern vom Desktop), durch den Schreibstil. Über diesen Komponenten, oder sie verbindend, weist die Arbeit ein hohes Maß an kreativer Intelligenz auf.

Anders als in typischen Informatik-Arbeiten ist Scherffig sich der weiteren Zusammenhänge seines Themas wohl bewusst. Er nimmt sie auf und reflektiert das Geschehen in einem sicheren Stil. Eine Arbeit,die aus meiner Sicht, die hervorragenden Fähigkeiten des Autors dokumentiert. In die aktuelle Debatte um Interaktionsmöglichkeiten jenseits der erfolgreichen Bürowelt-Metapher wirft Lasse Scherffig einen wichtigen Gesichtspunkt ein.

Seminar / Kurzbeschreibung

Lasse Scherffig reicht aus seiner Master’s Thesis heraus ein. Zum Abschluss ihres Studium der Digital Media müssen unsere Studierenden eine solche Thesis erarbeiten. Sie haben dafür 6 Monate Zeit. Während dieser Zeit werden sie von einem Hochschullehrer betreut. In diesem Fall gab es zwei Betreuer, den unmittelbar tätigen Dr. Diebner am ZKM und mich in Bremen. Die Arbeit schließt ab mit zwei unabhängigen Gutachten und einem Kolloquium, in dem der Kandidat die Arbeit vorstellt und verteidigt. Der Charakter der Arbeit ist also recht selbständig bei kritischer Begleitung.

Zuordnung Forschungsbereich

Interaktions-Design, Image Retrieval

  • › digital sparks 2006 [link 03]
  • › It's in Your Eyes. Gaze Based Image Retrieval in Context. [2 MB ] [link 04]
  • › EyeVisionBot: Hard- und Softwarekomponenten [24 KB ] [link 05]