Nica Giuliani

[leeres Projekt]

Ein interaktives Porträt

Nominee of the digital sparks award 2006

Installationsansicht

Installationsansicht

Media Files

Content Description

Ausgangsidee und Entwicklung

Die Grundidee eines interaktiven Porträts beschäftigte mich schon länger. Auch wenn ich nicht genau wusste, wie ich ein solches umsetzen möchte, so war mir klar, dass ich bei meinem Diplomprojekt versuchen möchte, eine Person zu porträtieren.
"Annika" ist das Ergebnis einer Arbeit, die sich laufend, über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelte und veränderte. Zu Beginn stand die Suche nach Dingen und Orten, in denen sich Persönlichkeit manifestiert, im Vordergrund. Die persönliche Wohnung mit all ihren Ordnungen und Systemen, das Zimmer, als Ort, an dem Inneres nach Aussen gekehrt ist, faszinierte mich bald. Ich beschränkte mich dann jedoch auf ein einziges Möbelstück, nämlich die Kommode, in der Gegenstände und Erinnerungen aufbewahrt werden. Die Entscheidung, ausschliesslich Ton zu verwenden, um die Schubladen zu füllen, fiel ziemlich spät. Mir gefiel die Idee, dass die Bilder in den Köpfen der BetrachterInnnen entstehen und diese so die Person selbst konstruieren.

Inhaltliche Aspekte und ihre Umsetzung

Die Thematik der Identitätskonstruktion, die meiner Arbeit zu Grunde liegt, befasst sich mit folgendem Prozess: Wenn ich einem Menschen begegne, habe ich umgehend einen Eindruck von ihm, ordne ihn ein, mache mir ein Bild, das sich jedoch noch verändern kann. Wie Puzzleteile fügt sich allmählich das Bild, das ich von einer Person habe zusammen, abhängig von Situation, Ort, sozialer Umgebung. Ich konstruiere ihre Identität indem ich durch meine persönliche Sichtweise die Anteile zu erfassen versuche, die sie selbst – bewusst oder unbewusst – über sich verrät.
Im Vordergrund stand für mich also nicht, das Abbild einer bestimmten Person zu schaffen, sondern anhand von einer exemplarischen Person Fragen nach Identität aufzuwerfen.
Der Prozess des Kennenlernens einer Person soll in meiner Arbeit abstrahiert simuliert werden. Dies wird unterstützt durch den Einsatz interaktiver Elemente, durch zufallsgesteuerte Abläufe wird es möglich, eine ganz individuelle Begegnung – wie sie auch in der Realität stattfindet – nachzuahmen. Der Betrachter/die Betrachterin soll die Person entdecken und gleichzeitig erschaffen.

Tonfiles

In der Installation habe ich die beschriebenen Aspekte folgendermassen umgesetzt: Die drei Schubladen stehen für verschiedene Identitätsanteile: Arbeit, Beziehung und Wünsche bzw. Fantasien. Die Schubladen sind in ihrer Tiefe nach einer bestimmten, nicht sofort erkennbaren Logik strukturiert (siehe auch angehängtes Dokument "Aufbau Schubladen"): von vorne nach hinten findet sowohl sprachlich als auch inhaltlich eine Annäherung an die porträtierte Figur statt.
Zuerst trifft man auf Sätze, die beschreiben, wie sich die Person von Aussen sieht, beziehungsweise wie sie das Gefühl hat, dass andere sie sehen. Das äussert sich sprachlich in Infinitiv-Sätzen wie z.B. "Am Tag nach der Entscheidung roten Lippenstift auftragen". In einer zweiten Phase erfahren wir, wie sich die Person selbst sehen oder haben möchte, es findet also ein Abgleich vom Wunschbild mit sich selbst statt, ausgedrückt durch Du-Sätze: "Du musst dir einen Fensterplatz besorgen." Zuletzt, ganz hinten in der überlangen Schublade, dringt man zum intimsten Bereich der Person vor. Sie spricht in der Ich-Form über sich selbst. "Der Zöllner winkt mich so durch, als wäre es ihm egal dass ich komme." Sätze wie "Ich sehe mich da und dort" oder "Ich flüstere vor mich hin" sollen die jeweilige Perspektive verdeutlichen und ergeben in ihrer wechselnden Kombination neue inhaltliche Zusammenhänge. Zudem trifft man hin und wieder auf Assoziationsketten, wie z.B. "Ich richte meinen Arbeitsplatz genau so ein wie den alten. Links die Stifte, rechts der Duden, in meinem Rücken die Welt. Als Kind dachte ich, dass man an den vorbeiziehenden Wolken sieht, dass sich die Erde dreht." Diese schaffen szenische und emotionale Erinnerungsbilder. Erst wenn man sich lange genug mit der Kommode beschäftigt hat, sich genügend Sätze angehört hat, lässt sich die letzte Schublade öffnen, aus der Annikas überdrehten Träume herausschwappen. "Ich werde mir einen Balkon bauen, hoch über den Dächern von Bruxelles,...."
In ihrer Gesamtheit erzählen die Sätze fragmentarisch aufgesplittert die Geschichte einer Frau, die ihren angestammten Wohnort verlässt und nach Brüssel zieht. Dabei wechselt sie nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihr soziales Umfeld. Angedeutet wird eine Beziehung, von der sich Annika löst. Ich habe das Ereignis des Umzugs, beziehungsweise der Neuorientierung gewählt, weil ich finde, dass in einer solchen Situation Fragen nach Identität und Persönlichkeit zentral sind.
Die Aussagen sind sprachlich sehr einfach gehalten und umreissen anhand einer spezifischen Situation eine Eigenschaft und lassen dabei ein atmosphärisches inneres Bild entstehen. (siehe auch angehängtes Dokument "Soundbeispiele")

Rauminstallation

Die Kommode, an einer tapezierten Wand stehend, ist das zentrale Objekt der Rauminstallation. Sie steht für das Gehirn, den Erinnerungsspeicher, das Bewusstsein eines Menschen. Sie ist aber keine alleinstehende Skulptur, sonder eingebetet in ein angedeutetes Zimmer, das assoziiert ist mit dem Menschen selbst, mit seinem persönlichen Raum, mit seinem Körper. Der Raum ist sehr reduziert, beinahe modellhaft und lässt so Projektionen zu. Die äussere Welt dringt durch das Licht, das durch ein nicht existentes Fenster auf den Boden fällt, sowie durch die Nachbarn, die als Raumton zu erahnen sind, in den Raum ein und beleben ihn zusätzlich.

Abschliessend

Ich biete dem Betrachter, der Betrachterin die Möglichkeit einer individuellen Begegnung mit Annika, beziehungsweise, dass er/sie sich die Person in seinem Kopf zusammensetzen kann. Ich habe versucht durch diese Arbeit emotional atmosphärisch zu berühren, wollte aber gleichzeitig wichtige Aspekte der inhaltlichen Auseinandersetzung zum Ausdruck bringen.