Tasja Langenbach

Neue Erzählstrategien von Geschichte in der Interaktiven Kunst

"An Anecdoted Archive from the Cold War" von George Legrady

Archive_Interface

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Theory / Research

Die künstlerische Arbeit George Legradys wurde bisher nicht umfassend wissenschaftlich bearbeitet. Die ausführlichste Darstellung erfuhr die Arbeit Legradys in der Einzelausstellung „George Legrady. From Analogue to Digital. Photography & Interactive Media/De l’analogue au codage numérique. La Photographie et l’interactivité.“ (National Gallery of Canada/Canadian Museum of contemporary photography, Ottawa, 1997).
Zu „An Anecdoted Archive from the Cold War“ existieren, neben für eine tiefgehendere Analyse wenig ergiebigen Kurzbeschreibungen der Arbeit in diversen Ausstellungskata-logen , nur zwei ausführlichere Artikel von Jean Gagnon sowie Irit Rogoff: „False En-dings, Anecdoted Histories, Deterritorialized Subjects and Central European Imaginaries: Reflections on George Legrady’s «An Anecdoted Archive from the Cold War»“. Beson-ders letzterer lieferte Ansatzpunkte für eine Analyse der im Archiv verarbeiteten Doku-mente in Hinblick auf Fragen nach Funktionsweisen kultureller Repräsentation und die Konstitutierung kultureller Identitäten. Theoretische Arbeiten George Legradys gaben entscheidende Anregungen für die Beschäftigung mit den Eigenschaften des digitalen Mediums.
Für die Verortung von „An Anecdoted Archive“ in einen kunsthistorischen Kontext wur-den Publikationen herangezogen, die sich mit Fragen der Neuen Medien und hierbei besonders deren interaktiven Nutzung auseinandersetzen. Die Zahl der Publikationen, die sich spezifisch mit Theorien und Formen der Interaktiven Medien beschäftigen, ist seit Anfang der 90er Jahre stark gestiegen. Die Eröffnung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe im Jahr 1989 hat spezifisch für den deutschen Sprach-raum zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit Fragen der interaktiven Medien in vielfältigen Publikationen geführt. Generell sieht man sich in der Beschäftigung mit The-orien zur Interaktiven Kunst mit dem Problem konfrontiert, dass weder der Begriff der Interaktivität noch die Form der Medien, auf die dieser angewandt werden soll, eindeutig abgegrenzt wird. Zieht man nur die Literatur in Betracht, die ihre Auseinandersetzung mit Interaktiver Kunst auf das Medium Computer beschränkt, fällt es noch immer schwer, wissenschaftliche Arbeiten zu finden, die sich spezifisch mit den Eigenschaften eines interaktiven Mediums in Hinblick auf Implikationen für eine Rezeption durch den Betrach-ter befassen. Vielmehr bewegen sich diese zwischen den Extremen einer rein techni-schen Diskussion über die Umsetzung bestimmter medialer Eigenschaften auf der ei-nen und visionären Konzepten zu neuen Formen der Wirklichkeitskonstruktion in der digitalen Datenwelt sowie damit in Zusammenhang stehenden neuen Raum- Zeit- Kon-zepten auf der anderen Seite. Führen erstere Ansätze für eine Analyse nicht weit ge-nug, gehen letztere über die in „An Anecdoted Archive“ verwirklichten Potentiale des interaktiven Mediums weit hinaus. Hilfreich war in dieser Hinsicht die Einführung in die Welt der digitalen Medien, „The Language of New Media“ von Lev Manovich. Ihm kommt in dieser Annäherung besonders der Verdienst zu, das digitale Medium in den größeren Kontext traditioneller Träger kultureller Repräsentation wie Film und Buch zu setzen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten konstruktiv für ein Verständnis der neuen Medien zu explizieren. Zudem behandelt er als einer der wenigen Autoren auch die technische Seite des digitalen Mediums wie Datenbank, Interface und das digitale Bild als kulturelle und ideologische Bedeutung konstituierende Bestandteile und bettet diese entsprechend theoretisch ein.
Weitere Grundlagenliteratur, die den Leser einleitend an die Thematik der Interaktiven Kunst heranführt, ist kaum vorhanden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang einzig die Publikationen Söke Dinklas und Annette Hünnekens. Söke Dinkla stellt in „Pioniere Interaktiver Kunst“ Wegbereiter der Interaktiven Kunst vor und ordnet diese in eine kunstgeschichtliche Entwicklungslinie ein. Medienästhetische Fragen bleiben hier je-doch weitgehend unbeantwortet. Annette Hünnekens gibt zwar in „Der bewegte Betrach-ter. Theorien der Interaktiven Medienkunst“ erste Einblicke in unterschiedliche Positionen zu Fragen einer Theorie und Ästhetik der interaktiven Medien, die sich allerdings auf Zusammenfassungen fremder Positionen beschränken und besonders in der Auseinan-dersetzung mit einer Definition des Begriffes der Interaktivität wenig konkret bleiben.
Die Mehrzahl der Publikationen beschränkt sich auf Artikel einzelner Autoren zu spezifi-schen Aspekten der Interaktiven Kunst, die in Zeitschriften, Festivalkatalogen oder ent-sprechenden Sammelbänden veröffentlicht wurden.

Für die weitere kontextbezogene Analyse von „An Anecdoted Archive“ wurden v.a. Arbeiten aus dem Bereich der Historiographie sowie der Kulturphilosophie relevant.
Für eine Beschäftigung mit der für die vorliegende Arbeit u.a. grundlegenden Diskussion um ein modernes vs. postmodernes Geschichtsbild steht eine Vielzahl umfassender Lite-ratur zur Verfügung. Für die diesbezügliche Argumentation in dieser Arbeit wurde die Diskussion in der deutschen Forschung, wie sie besonders von Jörn Rüsen und Hans-Jürgen Goertz angeführt wird, als Grundlage genommen, da der Bruch zwischen altem und neuem Geschichtsbild hier in der Auseinandersetzung mit dem deutschen Historis-mus besonders deutlich wird. Insbesondere Rüsen hat in unterschiedlichen Publikatio-nen entscheidende Ansatzpunkte für eine Diskussion des Begriffs der „historischen Er-zählung“, u.a. unter Bezug auf kritische Konzepte Hayden Whites und Michel Foucaults, geliefert.
Ein veränderter Zugang zur Vergangenheit, wie ihn Konzepte von Erinnerung und Ge-dächtnis vertreten, fand seit den 70er Jahren im Rahmen der „Cultural Studies“ und kul-turphilosophischer Studien gesteigertes Interesse. Für die Bedeutung von Erinnerung und Gedächtnis für die Konstruktion kultureller Identitäten bleiben bei aller Vielfalt der Publikationen zu diesem Thema die Arbeiten Jan und Aleida Assmanns grundlegend. Besonders die Diskussion um Funktionen des „kulturellen Gedächtnisses“ wurde wesentlich durch Jan Assmanns Publikation „Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen“ geprägt. Das von Aleida Assmann entworfene Konzept von Funktions- und Speichergedächtnis im Rahmen einer Beschäftigung mit individuellen und kulturellen Gedächtnisformen gab weitere entscheidende Ansatzpunkte für die Einordnung von „An Anecdoted Archive“ in vergleichbare Fragestellungen.