Niels Knolle, Thomas Münch

Das Modellvorhaben Me[i]mus

Neue Medien als Werkzeug, Musikinstrument und Thema im Musikunterricht

Neue Medien als Werkzeug, Musikinstrument und Thema im Musikunterricht

Neue Medien als Werkzeug, Musikinstrument und Thema im Musikunterricht

Inhaltliche Beschreibung

Entstehung:
Das Modellvorhaben Me[i]Mus (Neue Medien als Werkzeug, Musikinstrument und Thema im Musikunterricht) zielte auf die praxisorientierte Entwicklung von didaktisch-methodischen Konzepten der Arbeit mit und an neuen Musiktechnologien im Musikunterricht der Sekundarstufen.
Die Unterrichtsversuche wurden wissenschaftlich begleitet und als Projektmodelle für den Einsatz im Unterricht an bundesdeutschen Schulen veröffentlicht.
Die neuen Medien und hier im engeren Sinne die neuen Musiktechnologien (Computer, Synthesizer, Audio-Editoren, Sequenzer-Programme etc.) wurden als professionelle und szenetypische Musikinstrumente und Werkzeuge für das Musikmachen im Freizeitbereich sowie das Internet als Plattform für musikbezogene Recherche, Publizieren und Kommunikation auf ihre musikkulturelle Bedeutung in Kindheit und im Jugendalter analysiert.
Auf dieser Basis wurden in einer „Musikwerkstatt Neue Medien” die didaktischen Potenziale der neuen Medien systematisch dimensioniert und für den Einsatz im Kontext von Schule aufbereitet.
Das Vorhaben fand als Kooperation zwischen unterschiedlich profilierten Ausbildungsinstitutionen statt (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Hochschule für Musik Würzburg). Damit war sichergestellt, dass die Thematik in ihrer ganzen Breite in dem Vorhaben angemessen bearbeitet werden konnte (Magdeburg: Curriculum-Entwicklung, Didaktik der Populären Musik, Entwicklung von musikpädagogischen Modellen computergestützten Musikmachens; Würzburg: Mediensozialisationsforschung, E-Learning, Medienpädagogische Konzepte für den Musikunterricht).


Zur Begründung des Modellvorhabens:
Die meisten MusiklehrerInnen sind nur sehr bedingt in der Lage, im schulischen Regelunterricht oder in der AG die Auseinandersetzung mit neuen Medien vermittels Informations- und praktischen Handlungsangeboten kompetent anzuregen und zu begleiten. Grund hierfür ist nicht primär die oftmals unzureichende instrumentale und multimediale Ausstattung in den Schulen, denn auch mit wenigen, technisch nicht sehr aktuellen Computern kann in einzelnen Bereichen erfolgreich gearbeitet werden. Entscheidender ist die veraltete technologische und mediendidaktische Qualifikation der Lehrkräfte.

Die Gründe hierfür sind vielfältig:
¬ Innerhalb der Medienpädagogik und anderen Medienwissenschaften spielt die akustische bzw. musikalische Dimension von Medien nur eine geringe Rolle, da sie sich auf die visuelle und sprachlich-digitale Dimension von Medien konzentrieren.
¬ Die Musikpädagogik hat sich insgesamt nur sehr wenig mit Medien beschäftigt, wobei in der Vergangenheit vor allem ästhetische und kulturökonomische Fragestellungen dominierten. Zudem hat sich die Musikpädagogik kaum an der Erarbeitung medienpädagogischer Konzepte beteiligt oder sich bemüht, medienpädagogische Fragestellungen in den Musikbereich zu übertragen.
¬ Zwar liegen inzwischen für den Bereich der neuen Medien verschiedene Publikationen mit Unterrichtsvorschlägen vor, doch sind zu wenige Unterrichtskonzepte und materialien in der Praxis hinlänglich erprobt und werden dem Anspruch gerecht, nicht nur aktuelle musiktechnologische Entwicklungen aufzunehmen, sondern diese auch pädagogisch zu reflektieren.
¬ Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit neuen Medien ist bei der Mehrheit der MusikstudentInnen und damit auch der späteren MusiklehrerInnen bislang eher gering. Vor allem AbsolventInnen mit dem Schwerpunkt Kunstmusik konzentrieren sich auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen Instrument und haben deshalb daneben nur wenig Zeit und Interesse, sich auch medienpädagogisch zu qualifizieren (vgl. hierzu: › Selbstprofessionalisierung - Zum Umgang mit Musik und Medien bei SchülerInnen und MusiklehrerInnen)
¬ In den meisten Lehramtsstudiengängen hat der Ausbildungsbereich „Neue Medien” den Charakter eines fakultativen Zusatzangebots, der bei Neigung und Interesse von den StudentInnen und LehrerInnen wahrgenommen wird, ansonsten aber übergangen werden kann.

Die vorherrschende Praxis, neue Medien nur sehr zurückhaltend und dann überwiegend lediglich als technisches Werkzeug im Musikunterricht einzusetzen, geht nicht nur an der musikalischen Wirklichkeit von Kindern und Jugendlichen vor, die täglich mehrere Stunden medial vermittelte Musik nutzen, sondern verzichtet auch aus Unkenntnis auf eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Musikunterricht attraktiv und erfolgreich zu gestalten (vgl. hierzu: › Perspektiven innovativer Unterrichtsarbeit )


Umsetzung:
Die Arbeit in dem Modellvorhaben Meimus wies folgende Phasen auf:
(1) Erarbeitung eines literaturbasierten und erfahrungsbezogenen Problembewusstseins in aktuelle Bedingungen kindlicher und jugendlicher Mediensozialisation
(2) Themenbezogene technische Einführung in die Nutzung von Hard- und Software im Audiobereich unter besonderer Berücksichtigung von Free- und Shareware. In den Projektgruppen erhielten die LehrerInnen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit den neuen Musiktechnologien einzubringen und auszutauschen. Zugleich konnten sie deren Nutzungsmöglichkeiten im Blick auf schulische Anwendungen selbst erproben, was angesichts des sehr heterogenen Kenntnisstandes im Umgang mit neuen Medien ein unverzichtbarer Arbeitsschritt war.
(3) Entwicklung von didaktisch-methodischen Unterrichtskonzepten unter Bezug auf den Lehrplan der beiden beteiligten Bundesländer auf der Basis von Vorgaben und Anregungen der Projektleiter und ihrer Mitarbeiter.
(4) Erste Phase der Evaluation der Unterrichtskonzepte durch
- die beteiligten LehrerInnen im Unterricht an ihrer eigenen Schule
- die Teilnahme eines zusätzlichen Unterrichtsbeobachters
- eine Videodokumentation der Unterrichtsstunden, die während der Projektsitzungen gemeinsam in Ausschnitten in Hinblick auf ihr didaktisches Potential analysiert wurden.
¬ (5) Zweite Phase der Evaluation der Unterrichtskonzepte durch eine erneute standortübergreifende Erprobung
¬ (6) Ausführliche schriftliche Dokumentation der Unterrichtskonzepte.
Bei der Arbeit in den Projektgruppen ging es begleitend zur Entwicklung von Unterrichtskonzepten um Berichte aus den Schulen und aktuelle Aktivitäten der beteiligten LehrerInnen. Durch die kontinuierlichen Treffen entstanden Routinen der Zusammenarbeit, die auch über schwierigere Arbeitsphasen hinweg halfen.
Bei vier mehrtägigen gemeinsamen Tagungen standen grundsätzlichere Fragen im Mittelpunkt:
¬ Zur Funktion jugendlicher Mediennutzung
¬ Musikpädagogik und neue Medien. Chancen und Notwendigkeiten für die Arbeit mit neuen Medien im Musikunterricht
¬ Wann sind wir erfolgreich? Strategien der Evaluation
¬ Was heißt und ist „Kulturelle Bildung” ?
¬ Ansprüche an die Planung und Durchführung eines medienbewussten Musikunterrichts
Neben Impulsreferaten im Plenum prägten ausführliche Diskussionen die Arbeit in den Kleingruppen während der Tagungen.

Musikwerkstatt im Internet:
Unter der URL: www.meimus.org wurde eine Projektseite eingerichtet, die in ihrem öffentlichen Teil über die Projektarbeit informierte und in ihrem internen Teil als Musikwerkstatt fungierte. Im internen Teil konnten die Projektteilnehmer ihre erarbeiteten Unterrichtsmaterialien für die anderen TeilnehmerInnen hinterlegen, sich über Termine austauschen, oder auch Freeware bereitstellen.


Erfahrungen:
Unterrichtskonzepte
Die Entwicklung von Unterrichtskonzepten stellte sich als ein spannendes, aber nicht immer einfaches Vorhaben heraus. Neben schul- und computertechnischen Problemen erwies es sich als Herausforderung, die eigenen Maxime für den Unterricht konkret zu formulieren und offen zu legen. Für die meisten LehrerInnen ergibt sich nur selten die Gelegenheit und Notwendigkeit, die im jahrelangen Schulalltag gewonnen und bewährten Routinen fundiert im kollegialen Kreis zu hinterfragen und eventuell auch zu verändern.


Neue Medien als Thema von Lehrerfortbildung im Fach Musik:
Als zusätzliche Forschungsperspektive entwickelte sich im Verlauf des Modellvorhabens die Frage, wie Fortbildungsangebote für MusiklehrerInnen gestaltet sein müssen, damit die neuen Medien nicht nur als ein technisches Problem, sondern vor allem als eine didaktische Herausforderung angesehen und angenommen werden.
Das Interesse bei den ProjektteilnehmerInnen für die vielfältigen technischen Möglichkeiten resultierte u.a. aus der Faszination, sich selbst als Auslöser „erstaunlicher Effekte” (z.B. Klangmanipulationen) zu erleben, die einem bislang undenkbar bzw. nichtbeherrschbar erschienen. Aktion und Gratifikation fallen im Idealfall zusammen, und es entsteht das Gefühl einer hohen subjektiven Zufriedenheit, wenn etwa im Anschluss an eine gelungene Softwareschulung für den Einzelnen konkret sichtbar wird, dass er etwas kann, was er bis dahin noch nicht beherrschte.
Ein weiteres Motiv speiste sich aus dem diffusen Gefühl, eine wichtige Entwicklung, die mit dem Einzug des Computers in die Klassenzimmer stattfindet, nicht verpassen zu dürfen. Die Wertschätzung von Computerkenntnissen im Lehrerkollegium und die immer stärkere Erwartungshaltung von Seiten der Schulverwaltung verstärken das Gefühl, unbedingt etwas für die Verringerung der mutmaßichen eigenen Defizite tun zu müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Der Umgang mit neuen Medien im Musikunterricht stellt für einige MusiklehrerInnen ein „unsicheres Terrain” dar, auf das sie sich nur ungern einlassen. Inzwischen gibt es innerhalb größerer Lehrerkollegien zumeist einige Experten, die den insbesondere in den letzten Jahren durch Initiativen wie » Schulen ans Netz politisch und (ökonomisch) gewollten „Innovationsschub” der neuen Medien gegenüber der Schulöffentlichkeit z.B. als Systembetreuer vertreten. Ob man darunter viele MusiklehrerInnen findet, darf bislang bezweifelt werden.
Auch die „Angst vor der Blamage” kann motivieren, wenn es um den konkreten Einsatz der Medien im Unterricht geht. Diese besteht zum einen gegenüber KollegInnen, vor den man sich keine Blöße geben will, aber noch viel mehr gegenüber SchülerInnen, die z. T. über erhebliches Erfahrungswissen im Umgang mit musikbezogenen Medien verfügen, das sie sich unabhängig von schulischen Lernprozessen aus eigenem Interesse angeeignet haben. Das Angstmotiv spielt auch in Hinblick auf die Beherrschbarkeit von unvorhergesehenen Situationen eine wichtige Rolle. Das klassische Bild vom Lehren ist zum Teil stark von der Vorstellung geprägt, dass Unterricht komplett beherrschbar sein muss. Die Technik mit ihrer unübersehbaren Zahl an Bedienungsmöglichkeiten und -fehlern widersetzt sich diesem Anspruch.
Wie Erfahrungen aus medienbezogenen Lehrerfortbildungskursen zeigen, ist das Interesse bei LehrerInnen an didaktischer Reflexion im Vergleich zu dem Interesse an technischer Beherrschung von Medien vergleichsweise gering. Die Gründe hierfür sind u.a. darin zu suchen, dass sich die TeilnehmerInnen als erfahrene PraktikerInnen selbst für ausreichend kompetent einschätzten, die didaktischen Implikationen ihres Unterrichts zu sehen und sachgerecht umzusetzen. Zudem ist für manche von ihnen nicht unbedingt ersichtlich, dass die neuen Medien auch ein unterrichtsveränderndes Moment in sich tragen können. Darüber hinaus sehen nur wenige die Möglichkeiten, Unterrichtsideen oder -konzeptionen anderer KollegInnen auf ihren Unterricht auf einfache Weise zu übertragen, da jeder Lehrer über sein persönliches Repertoire an „Subjektiven Theorien” verfügt, welche Bedingungen und Konstellationen für den eigenen Unterricht günstig seien.