Hubert Gertis

Musikindustrie und digitale Geschäftsmodelle

Symposium "DRM und Alternativen"

Hubert Gertis

Hubert Gertis

Inhaltliche Beschreibung

Bei „Wertperzeption“ von Musik gibt es sehr verschiedene Empfindungen. Die eine ist kontextuell: Der Wert wird (mit-)bestimmt durch die Erlebnisse, die man mit der jeweiligen Musik verbindet. „Die erste LP/CD/Kauf-MC“, „das erste Konzert“, Erlebnisse – wie z.B. Beziehungen - sind damit verbunden. Außerdem die Emotionen, die mit dem Produkt verbunden sind: Haptik (ist es ein Pearl Case), Visualität (wie sieht das CD-Booklet aus)?
Bei digitaler Musik ist die Bequemlichkeit ein wichtiger Wert: Wie ist der Zugriff, wie das Interface? Wie funktioniert das virtuelle Browsen? Wie portabel ist die Musik, welchen Nutzungsrahmen lässt sie zu (Kopieren, Verschenken, Auto, Walkman, Compilation). Ein Equivalent zum (edel gestalteten) „Coffe Table Book“ gibt es bei CDs nicht.
Daher kommen verschiedene Nutzerszenarien zum Tragen, wenn es um unterschiedliche Arten Avon Musik geht.
Nutzerszenario 1: Die CD
Ich muss jagen, damit ich sammeln kann, aber ich will den Tonträger auch besitzen, teilen (aber nicht rippen und in Kazaa einstellen, sondern ich zeige ihn meinen Freunden).
Nutzerszenario 2: P2P
Im P2P-Netzwerk muss man viele Dinge jagen, kann es nutzen, aber nicht besitzen.
Die meisten Menschen teilen nicht, sondern saugen.
Nutzerszenario 3: Bezahlter download
Bequem: Jagen & Sammeln fällt weg: wenn’s da ist, dann kaufe ich es, wenn’s nicht da ist, gibt’s das eben nicht. Es fehlt das emotionale Element.
Nutzerszenario 4: Radio
Ist bequem.
Wie wird nun mit Musik Geld verdient?
Mit Radio? Wenig. Mit Recorded Music? Wenn wir von Musikindustrie reden, dann reden wir von recorded Music. Das ist recht bizarr. In einem EU-Forschungsprojekt wurde versucht zu ergründen, wie viel Geld mit Konzerten verdient wird. Es sollen etwa zwei Drittel des Recorded-Music-Markts sein, aber das ist nicht sicher.
Klingeltöne
Bis zu acht Euro werden für einen Klingelton gezahlt. Die Labels sagen: Für das Geld werden wir nicht mal 'ne CD los – hat nur mit Emotionen und Personalisierung zu tun. Man kann die Musik also auch ganz anders auswerten, braucht dazu aber Ideen, mit denen man Musik neu verwerten kann. Der Performer ist zu diesem Zeitpunkt allerdings längst raus aus dem Geschäft. Die ganz großen zwar nicht, aber Michael Jackson ist hier nichts anderes als Ariel, er ist eine Marke, die verwertet werden kann.
Wie geht es weiter?
Das Fazit des „Darknet“-Papiers ist: Man kann Inhalte nicht komplett verschließen, bzw. wenn man es schafft, sind die sozialen Kosten höher als der mögliche Gewinn. Denn ungeschützte Inhalte sind wertvoller als geschützte.
Es gibt unterschiedliche „Value Propositions“: Offen vs. DRM
Mp3 unrestricted
kopierbar
transportabel und flexibel
offener Standard, Player-neutral
DRM
eingeschränkt kopierbar
eingeschränkt transportabel, flexibel
proprietär, playergebunden
Wenn ich sage, ich will jetzt joggen und EMI sagt mir: Dann nimm’ Dein Laptop mit, dann geht das nicht. Auch in den iTunes-Songs sind Restriktionen enthalten. Wenn mein Rechner veraltet ist, wird’s schwierig (es könnte sein, dass ich zu dem Zeitpunkt keine Kopierrechte mehr habe) – das Problem stellt sich bei CDs nicht.
Mit dem Geschäftsmodell „recorded music“ hat der Künstler nix zu tun. Keiner geht in den Laden und fragt: Was habt Ihr denn Neues von Ariola? Wo hat das große Label noch seine Berechtigung?
In Großbritannien wurde im letzten Jahr zum ersten Mal mehr Geld umgesetzt mit Klingeltönen als mit CD-Singles. Was ist der finanzielle Stellenwert der Musik? Ich abonniere digital cable in Nordrhein-Westfalen bei der Firma ish und bekomme für einen Euro im Monat 65 Kanäle werbefreie Musik dazu.
Aber Musik ist eigentlich ein emotionales Geschäft – wie kann ich das ausnutzen?
Am Beispiel des Betamax-Streits in der Filmindustrie hat sich gezeigt, dass man die Industrie vor sich selber schützen muss. Man muss z.B. auch Protection-Folgekosten beachten.
Frage: Kapiert die Industrie, dass sie DRM nicht braucht?
Gertis: Die Struktur, die jetzt da ist, braucht DRM – Britney Spears braucht DRM. Es ist nachvollziehbar, dass die Industrie sich mit Händen und Füßen wehrt, es ist aber nicht einzusehen, dass das mit einer großen Willfährigkeit in Gesetzestexte gegossen wird. In der Musikindustrie wissen die Leute, wo die Probleme sind, stehen aber mit dem Rücken zur Wand.
Wird die Musikindustrie verschwinden?
Kann man nicht beantworten. Wenn das Geschäftmodell so nicht mehr funktioniert, dann eben nicht – es gibt immer noch Pferdedroschkenhersteller, aber die heißen nicht mehr DaimlerCrysler – ein Musikunternehmen muss sehen, ob es mit neunen Gegebenheiten zurechtkommt.
Wird sich DRM durchsetzen?
Es wird DRM geben. Die Frage ist, wie es ausgestalten werden muss. Die Hürden dürfen nicht so groß sein. Es gibt einen Backkatalog, der ausgewertet werden kann, es wird keine Pflichtnutzung geben bei DRM. Das beste Beispiel sind die Grateful Dead, die sagten: „Wir leben vom Konzert, bitte nehmt es auf und zeigt anderen Leuten, dass unsere Konzerte gut sind.“ DRM brauche ich nicht, wenn ich die Originalität meines Produktes hervorheben kann.
Die neuen Strukturen werden sich nicht aus den Majors heraus entwickeln, sondern aus kleineren Labels und unabhängigen Künstlern.