Sandra Manhartseder, Karl E. Scherer, Rainer Hawlik, …


thecrystalweb.org

Digitales Museum mit dynamischem Interface zur Darstellung kulturellen Wissens


thecrystalweb_liquid_screenshot [link 01]

thecrystalweb_liquid_screenshot

Kontext

Statement

Ziele des Projektes:
Ziel war seit Projektbeginn im Jahr 2001 die Erstellung eines digitalen Museums zum Thema des Kristallinen. Neben einer "konventionellen" Website sollte dabei auch ein innovatives Interface (Liquid) entwickelt werden, das in gewisser Weise versucht, den idealtypischen Museumsbesuch in das digitale Medium zu übersetzen: konkret heißt das: möglichst wenig Vorgaben, wie sich der/die BesucherIn durch die "Ausstellungsräume" zu bewegen hat, assoziations- und interessegeleitetes Navigationssystem, topologische und kontextorientierte Anordnung des Bestands, möglichst viel Eigenaktivität des Besuchers/der Besucherin, hohe Gestaltungsfreiheit. Während also thecrystalweb zunächst primär als Forschungsvorhaben in den Bereichen Informatik, Wissensmanagement, Interface-Design gelten kann, entwickelt es sich mit seinen Installationen zunehmend auch in die künstlerische Richtung. Es geht jenseits der Zuordenbarkeiten zu Wissenschaft/Kunst (auch) um die philosophische Frage, welche Orte und Schnittstellen sich ergeben, wenn sich die Definitionen dieser Kategorien zu verflüssigen beginnen. Um die Vermessung solcher neuer Wissensräume ist es uns derzeit im Rahmen der Liquid-Weiterentwicklung zu tun.
Innovative Aspekte des Projekts und besondere Forschungsinteressen: Auf der inhaltlichen Ebene kann hinsichtlich des Themas und der transdisziplinären Vorgangsweise von innovativen Aspekten gesprochen werden: Zunächst wurde versucht, rund um ein Motiv - das des Kristalls - eine kulturell, zeitlich, geografisch und disziplinär übergreifende Sammlung zu erstellen. Daraus entstand das größte Archiv zum Thema; des weiteren ging es vor allem darum, nicht Kunstgeschichte im klassischen Sinn zu erzählen, sondern die Grenzen auszuweiten und auch alltäglichen Gegenständen sowie popkulturellen Inhalten gleichwertig Raum zu geben. Auf der Ebene der Darstellung (Liquid) wurde versucht, den Museumsbesuch in ein digitales Medium zu übersetzen (ähnlich einer Literaturverfilmung). Dem/der Besucherin soll dabei hinsichtlich Erkundung des Bestands und Anordnung der ausgestellten Objekte möglichst viel Freiraum belassen werden. Wiewohl "unsichtbar" soll die Innovation während des Arbeitsprozesses selbst nicht unerwähnt bleiben: Content-Recherche und -Aufbereitung fand parallel zur Liquid-Entwicklung statt; da es sich bei letzterem um ein tatsächlich beispielloses Informationssystem handelt, dessen Datenbankdesign, CMS und Interface erst im Rahmen des Projektverlaufs gestaltet wurden, war eine außergewöhnlich enge Zusammenarbeit zwischen Content-Redaktion und Programmierern von Nöten. Aus diesem fruchtbaren Austausch entstand schließlich die Motivation einer weiterführenden Liquid-Entwicklung, deren Zentrum gerade die Verschaltung technischer und kultureller Aspekte darstellt.
Im Rahmen der Liquid-Installationen (temporär im Leopold Museum, Wien, im September 2003), permanent in der von Harald Szeemann kuratierten Ausstellung Verzauberung auf Zeit, Museum Swarovski Kristallwelten (Wattens,Österreich) geht es um die Verlängerung, Ergänzung und Neukontextualisierung jener Ausstellungen, als deren Teil die Installation fungiert. Exponate dieser Ausstellung werden in die Installation aufgenommen und mit den vernetzten Inhalten von thecrystalweb verbunden. Derzeitiges Forschungsinteresse gilt der Vernetzung musealer Bestände untereinander, wobei die Ebenen des Speicherns (Informatik), des Ordnens (Wissensorganisation) und des Darstellens (Interface) gleichermaßen berücksichtigt werden.

Erforderliche Kompetenzen und Mittel für die Realisierung, bzw. Organisation des Projekts:

Eine der wichtigsten Triebfedern des Liquid-Entwicklungsmodells besteht in der parallelisierten Entwicklung von technischem System und Inhalten. Die enge Verzahnung von Software- und Inhaltsentwicklung erfordert eine wesentlich engere Zusammenarbeit von IT und Redaktion als in der CMS-Entwicklung üblich. Als zentrale Fähigkeiten der Beteiligten können undogmatische Herangehensweisen an Inhalte und technische Voraussetzungen, hohe Flexibilität im Bereich Organisation und Planung sowie die Bereitschaft zu intensiver Involviertheit genannt werden.

Reaktionen auf crystalweb und Evaluation des Projektes:

Der erste Presseniederschlag im Anschluss an die Präsentation im September 2003 kann als durchweg positiv bezeichnet werden. In Bezug auf Liquid, das als Prototyp auf www.thecrystalweb.org zugänglich ist, kann Erfahrungswerten entsprechend von einer extrem positiven Zustimmung seitens computer-affiner und "avantgardistische" Interfaces und einer extremen Frustration seitens an "konventionelle" Web-Angebote Gewöhnter gesprochen werden. Naturgemäß fließen diese Ergebnisse in die Weiterentwicklung von Liquid ein.

Was erfährt der Nutzer über die Beziehung von digitalem und realem Raum?

Vor allem die in Museen (Sept. 2003: Leopold Museum, Wien, seit März 2004: Kristallwelten, Wattens/Österreich) aufgestellten Installationen spielen mit räumlichen und damit verhaltensprägenden Unterschieden: Die "virtuellen" Elemente des im Internet unter www.thecrystalweb.org zugänglichen Liquid-Infospace werden "materialisiert" und für den Besucher als physische modulare Elemente erfahrbar und erlebbar.

Die aktiv an der "Begehung" eines realen virtuellen Raums beteiligten Betrachter kartographieren ihre Umgebung: man steht nicht an einem herkömmlichen "Infopoint", sondern begibt sich in das Bezugsnetz der Informationen, deren weder zu finalisierender noch zu stoppender Fluss sich von Modul zu Modul manifestiert. Im physischen Sinne soll Wissen be-griffen werden.
Der Besucher "wandert" mit der von ihm am Touchscreen per Berührung ausgelösten Präsentation mit, benutzt mehrere Elemente, hinterlässt Artefakte seiner Reise durch den Infospace als mögliche interessante Ausgangspunkte für andere Besucher. Wellen von Informationsrelationen durchlaufen die Module; der Inhalt von vernetzten Elementen ändert sich; den sich neu offenbarenden Bezügen kann "nachgegangen" werden: eine Reise durch den Liquid-Infospace.

In einer bewusst experimentellen Unsicherheit, die auch dem Besucher "zugemutet" wird, erlaubt sich Liquid den Versuch, Strukturen nicht zu "vereinfachen", sondern in ihrer Komplexität darzustellen und eine Grammatik zu entwerfen, die gegenüber konsensuellem Einverständnis die immerwährende Missachtung der Spielregeln präferiert. Die Beziehung zwischen realem und digitalem Raum spielt für Liquid aber auch in anderen Bereichen eine wesentliche Rolle:
- Liquid als Meta-Museum: Durch die virtuelle Vernetzung von Exponaten aus verschiedenen Bereichen entsteht ein virtueller "Besuchsraum", der sich aus neu kontextualisierten "Samples" zusammensetzt. Als Prototyp bereits im Einsatz, soll Liquid zu einem umfassenden Museen-Vernetzungstool werden.
- Struktur der Datenvisualisierung: Ein wesentliches Prinzip von Liquid ist die starke Betonung von Beziehung und Kontext. Die Raum-Metapher der grafischen Darstellung (im aktuellen Prototyp als 2D-Interface umgesetzt) ersetzt gewohnte geographischen Koordinaten durch Zusammenhangsvektoren - aus zeitliche Abfolgen, sinnverwandten Kontexten und anderen Bezugspunkten aufgebaute Erzählungen werden in Liquid zu topologischen Repräsentationen. Diese "Wissenslandkarten" bieten jeweils einen möglichen Blick auf die Inhalte der Datenbank.
- Der Anspruch von Liquid, den Benutzer seinen eigenen Interessen folgen zu lassen, impliziert im interaktiven Konfigurationsvorgang den selbständigen Aufbau einer Interessens-Topologie: Liquid ist so aufgebaut, dass sich der Benutzer mit seinem Weg durch den Wissensraum immer selbst im digitalen Raum verortet; er findet den Weg zu früheren Erkundungen in dem Wissensraum zurück, wenn er seine Besuche in Liquid abspeichert. Der Besucher kann seinen Assoziationen nach-gehen und sich einer mind map entsprechend räumlich einrichten.
- Vom didaktischen Ansatz her betrachtet macht Liquid den Benutzer auf die Relativität von Ordnungsstrukturen des Wissens aufmerksam.

Theorie / Forschung

Die Website www.thecrystalweb.org wird ständig gestalterisch und inhaltlich aktuialisiert und erweitert; des weiteren finden themenspezifische Veranstaltungen auch in den Vereinsräumlichkeiten statt, die stets mit Verschränkungen digitaler und realer Exponate arbeiten.
Um eine umfassende Erweiterung mit qualitativen Änderungen geht es in Bezug auf Liquid, dessen Forschungs- und Anwendungsbereiche folgendermaßen skizziert werden können:

FORSCHUNG
Mit dem derzeitigen Forschungsprojekt Liquid betreibt der Verein Polygon transdisziplinäre Forschung, die sowohl informationstechnologische, kulturwissenschaftliche und philosophische Fragestellungen tangiert. Liquid kümmert sich um Probleme des Speicherns, des Ordnens und des Darstellens von Wissen (im Moment liegt der Schwerpunkt auf kulturellen Inhalten, wie sie in erster Linie Museen beherbergen). Auf informationstechnologischer Ebene geht es um die Entwicklung einer Internet 2D-Anwendung, die peer to peer - Arbeit in Echtzeit zwischen entsprechenden Institutionen (Museen) ermöglicht; die Auswahl der Inhalte sowie deren Ordnung und Darstellung bedient sich kulturwissenschaftlicher Überlegungen, wie sie vor allem in der Museologie, aber auch in der Medientheorie angestellt werden; des weiteren spielen sprachtheoretische Fragestellungen insbesondere in der Gestaltung eines narrativen Ordnungssystems des Wissens eine bedeutende Rolle. Philosophische Grundüberlegungen, die sich um Beschreibungen von Wissen im Zeitalter seiner digitalen Verfügbarkeit bemühen, transzendieren und reflektieren die oben genannten Probleme.

ANWENDUNG
Ziel der Verschaltung genannter Forschungsrichtungen ist einerseits die Entwicklung eines (zunächst) für Museen gedachten Informationssystems, das die flexible und dynamische Verwaltung musealer Bestände erlaubt und gleichzeitig die Anbindung an Inhalte anderer Museen ermöglicht (peer to peer). Auf der Ebene der Publikation soll ein digitaler, über das Internet zugänglicher, geografisch und disziplinär möglichst breit gestreuter Museumsraum sein, in dem der/die BesucherIn kontextorientiert durch die Bestände diverser Museen "wandern" kann und seinen/ihren Bedürfnissen entsprechend mit Hintergrundinformationen versorgt wird. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einem möglichst hohen Freiheitsgrad der BesucherInnen, die assoziativ und interessensgeleitet durch einen topologisch organisierten Museumsraum navigieren können. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung eines Liquid-Space bemüht sich um die Inszenierung und "Installierung" dieser gesammelten digitalen Inhalte an zentralen Plätzen in verschiedenen Städten. Diese kulturellen Wegweiser in Form von öffentlich zugänglichen Installationen sollen sowohl Informationen über die Stadt, in der man sich gerade befindet, enthalten wie auch Auskünfte über die Zusammenhänge der Städte und Länder untereinander anbieten. Mit einer solchen begehbaren Landkarte kulturellen Wissens in seinen Zusammenhängen wird auch den dringlichen Erfordernissen europäischer Integrationskultur entsprochen.
Sandra Manhartseder

Ausstellungen / Präsentationen

  • Das Projekt thecrystalweb wurde im September 2003 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Dies geschah in Kooperation mit dem Wiener Leopold Museum während der Langen Nacht der Museen. Im Zuge dessen gab es auch eine TV-Präsentation im ORF Kulturmagazin „Treffpunkt Kultur“ sowie entsprechenden Presseniederschlag in allen großen österreichischen Medien.
  • Präsentation im Vorfeld auf der internationalen Konferenz Museum and the Web in Charlotte/North Carolina, März 2003.
  • Vortrag an der Universität für Angewandte Kunst, Wien, Mai 2003. An der Lehrkanzel für Kommunikationstheorie betrachtete thecrystalweb° den Stein der Weisen von innen: Wissen wurde im Zeitalter der Alchemie in der Idealitätsform des Kristalls beschrieben. Versetzt man sich in das Innere dieses Kristalls, fände man sich in einem vernetzten und beweglichen Archiv wieder… in thecrystalweb. Rainer Hawlik und Hans-Georg Nicklaus stellten in einem der Montagsvorträge der Sektion Ästhetik unter Walter Seitter das Projekt thecrystalweb zur Diskussion.
  • next 5 minutes/Amsterdam, Präsentation im open space, September 2003.
  • Das fremde Archiv: Lehrlinge navigierten in thecrystalweb, November 2003. Mit dem Projekt »Das Nützliche und das Fremde« unterstützt und entwickelt das Büro für Kulturvermittlung kommunikationsorientierte Kulturvermittlungsprojekte im Sektor der beruflichen Erstausbildung. Neben Ihrer Fachausbildung (das Nützliche) lernen die Lehrlinge Arbeits- und Lebenswelten von KünstlerInnen und Kulturschaffenden (das Fremde) kennen. Innerhalb der Themenreihe »Archive« präsentierte thecrystalweb den Lehrlingen die Zugänge zum kristallinen Archiv. Liquid wurde als ein Archiv vorgestellt, das so funktioniert, wie man denkt: entlang Assoziationen. Die Lehrlinge folgten anschließend je eigenen Assoziationen in Liquid, und ließen kleine Ausstellungen auf den PCs entstehen. Durch das Tauschen der Plätze vor den PCs konnten die Ausstellungen von anderen besichtigt und weitergeführt werden.
  • project space, Kunsthalle Wien: Albrecht Dürer. Geometrie und Zahl. Ein Vortrag von Alfred Stohl, Dezember 2003
  • Permanente Installation im Rahmen der von Harald Szeeman kuratierten Ausstellung Verzauberung auf Zeit, Museum Swarovski Kristallwelten (Wattens, Österreich,seit März 2004.
  • Open House in der thecrystalweb-lounge in Wien im Rahmen des Internationalen Museumstags, Mai 2004.
  • › Medienkunst und Forschung [link 02]

» http://www.thecrystalweb.org [link 03]

  • › crystalweb.org_liquid [JPEG | 41 KB ] [link 04]
  • › crystalweb_Installation_Ausstellung: Verzauberung auf Zeit_Museum Swarovski Kristallwelten_ Wattens, Österreich [JPEG | 60 KB ] [link 05]
  • › crystalweb [Windows Media] [link 06]
  • › crystalweb [RealMedia] [link 07]
  • › crystalweb_website_sceenshot [JPEG | 112 KB ] [link 08]
  • › crystalweb_Installation_Leopold Museum, Wien [JPEG | 72 KB ] [link 09]