Manfred Koob, Marc Grellert

Synagogen in Deutschland

Visualisierung des Zerstörten

Synagoge von E. Oppler, Hannover_Kuppel

Synagoge von E. Oppler, Hannover_Kuppel

Inhaltliche Beschreibung

Seit 1994 werden an der TU Darmstadt, Fachgebiet CAD in der Architektur, Synagogen, die in der NS-Zeit zerstört wurden, am Computer rekonstruiert. In einem studentischen Seminar mit acht TeilnehmerInnen entstanden zunächst die Computer-Rekonstruktionen von drei Frankfurter Synagogen. Die Idee für dieses Projekt entstand bei Marc Grellert unter dem Eindruck des Anschlages von Neonazis auf die Synagoge in Lübeck 1994. Sie basiert im weiteren auf der Beschäftigung mit der NS-Zeit, dem Interesse an Architektur und Neuen Medien. Der Anschlag auf die Lübecker Synagoge wies wegen der historischen Bezüge einen hohen symbolischen Charakter auf. Mit dem Sichtbarmachen zerstörter Synagogen sollte ein klares Zeichen gegen Antisemitismus und anwachsenden Rechtsradikalismus gesetzt werden. Gleichzeitig wollte das Seminar einen Beitrag des Mahnens und Erinnerns bezüglich der NS-Zeit leisten und die bauhistorische Bedeutung der Gebäude in Erinnerung rufen.

Angeregt durch die positive Resonanz auf die Rekonstruktion der Frankfurter Synagogen machte sich das Fachgebiet CAD in der Architektur, unter Leitung von Prof. Manfred Koob und Dipl. Ing Marc Grellert, die Computer-Rekonstruktion von weiteren großen deutschen Synagogen zum Ziel. Neben den politischen Aspekten sollte ein repräsentativer Überblick und ein räumlicher Eindruck der synagogalen Architektur in Deutschland vor der Zerstörung vermittelt werden. Ausgesucht wurden 15 Synagogen aus den Städten Berlin, Darmstadt, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Kaiserslautern, Köln, Leipzig, München, Nürnberg, Plauen und Stuttgart.

Da an der TU Darmstadt für ein solch umfangreiches Projekt nur wenige Mittel zur Verfügung standen, musste finanzielle Unterstützung gesucht werden. Mit Hilfe des Bundesbildungsministeriums (BMBF) wurde das Vorhaben dann 1998 mit den Rekonstruktionen der Synagogen Köln, Hannover und Plauen in Angriff genommen. Die Städte Dortmund, Kaiserslautern, München und Nürnberg schlossen sich mit der Unterstützung der Rekonstruktion der jeweiligen Synagoge dem Projekt an. Auch die Arbeit an Synagogen aus Berlin, Dortmund, Dresden und Leipzig konnte - letztendlich entscheidend durch die anfängliche Förderung durch das BMBF - aufgenommen werden. Über 60 Studentinnen und Studenten des Fachbereichs Architektur haben sich bis jetzt an den Rekonstruktionen der zerstörten Synagogen beteiligt.

Neben architektonischen Auswahlkriterien wurden Synagogen aus Großstädten ausgewählt, in der Hoffnung, dass so möglichst viele Menschen zu erreichen sind und die oben benannte politische Intention die größtmögliche Entfaltung finden kann. Diese ausgesuchten Synagogen stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, denn erst ab diesem Zeitpunkt entstanden jene prächtigen Gebäude, die fast überall in Deutschland das Stadtbild mitprägten.

Bei der Veröffentlichung des Projekte war es Ziel, einen Beitrag zur Erinnerungskultur in Bezug auf die zerstörten Synagogen und die NS-Zeit zu leisten und durch virtuelle Rundgänge innerhalb und außerhalb der Synagogen den kulturellen Verlust anzudeuten. Es war dabei wichtig, die Computersimulation mit Hintergrundinformationen zu verbinden. Im Zusammenhang mit der CAD-Simulation wurde das Spezifische des Bautypus Synagoge erklärt, die verschiedenen baulichen Elemente und Einrichtungsgegenstände erläutert sowie die jüdische Liturgie in groben Zügen umrissen. Weiter sollen die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher Stellung der Juden, religiösem Selbstverständnis und liturgischen Vorgaben auf der einen Seite und dem - einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannten - gebauten Raum auf der anderen Seite vermittelt werden. Berichte von Zeitzeugen über Alltag in den Synagogen und über Diskriminierung und Verfolgung der Juden vertiefen diese Informationen.

In Zusammenarbeit mit dem Bundesbildungsministerium und der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn wurde - diesem Konzept folgend - eine Ausstellung konzipiert, die am 16. Mai 2000 im Beisein der Bundesbildungsministerin Edelgart Bulmahn sowie dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, eröffnet wurde und dem Publikum bis Oktober 2000 präsentiert wurde. In Bonn waren am Projekt beteiligte StudentInnen als Ansprechpartner vor Ort und arbeiteten in der Ausstellung an einer Synagoge weiter, so dass den Besuchern auch die technische Seite der Rekonstruktion praktisch vorgeführt werden konnte.

Die Ergebnisse des Projektes wurden unter anderem in Form von Videofilmen für die Bildungsarbeit den Schulen, Volkshochschulen und Hochschulen sowie den Landesbildstellen zur Verfügung gestellt. Unter www.cad.architektur.tu-darmstadt.de sind die Ergebnisse der Rekonstruktion im Internet zu sehen.

Als Reaktion auf die Ausstellung in Bonn waren viele in- und ausländische Institutionen bestrebt, diese Ausstellung bei ihnen vor Ort zu zeigen. Fehlende finanzielle Mittel ließen eine Verwirklichung in Deutschland bis jetzt scheitern. Der Kulturstiftung der Deutschen Bank ist es zu verdanken, dass diese Ausstellung aber als Wanderausstellung im Ausland, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Start der Auslandsausstellung war das Diaspora Museum in Tel Aviv. Unter großer Beachtung israelischer Medien wurde sie am 24. Februar 2004 dort eröffnet. Weitere Stationen in Amerika und Europa sind geplant.

Das Projekt der Rekonstruktionen wird ergänzt durch ein interaktives öffentliches Internetarchiv , das im Rahmen einer Forschungsarbeit betreut wird. Es beinhaltet die Grundinformationen zu über 2000 deutschen Synagogen. Diese Basisinformationen entstammen der Literatur und umfassen Ort, Standort, Bundesland, Nutzungsdauer, Ausmaß und Zeitpunkt von Zerstörungen in der NS-Zeit, Zeitpunkt des Abrisses, Informationen zum Erhaltungszustand von Gebäude und Inneneinrichtung sowie Angaben zu Gedenkformen. Der User kann in diesem Archiv via Internet zu einer von ihm ausgewählten Synagoge selbst Zeitzeugenberichte, Kommentare, Links oder Bilder hinzufügen und damit die Basisinformationen ergänzen. Hintergrundinformationen zum Thema ergänzen das Angebot. Mit diesem Archiv entstand erstmals ein Überblick über deutsche Synagogen, der auch die neuen Bundesländer einschließt und der im Laufe der Zeit ständig aktualisiert und ergänzt werden kann. Statistische Abfragen lassen nun auch genauere Zahlen zu Teilaspekten entstehen. Als Beispiel sei hier die Zahl von über 350 Synagogen und Bethäusern genannt, die erst nach Ende des zweiten Weltkriegs abgerissen wurden. Inzwischen wurden auch österreichische Synagogen mitaufgenommen. Unter www.synagogen.info ist das Synagogen-Internet-Archiv im Netz erreichbar.
(Marc Grellert & Manfred Koob)