Mister Ministeck: Norbert Bayer


Mister Ministeck

Serien Tetris Advanced, Live Forever und TouchScreens


Pac Man, 2001 [link 01]

Pac Man, 2001

Kurzdarstellung

Kurzbeschreibung

Norbert Bayers künstlerisches Material sind jene bunten Plastiksteinchen aus dem Hause Ministeck, die sich – in Steckplatten gepresst – vor allem in den 1970er und 1980er Jahren generationsübergreifend einer großen Beliebtheit erfreuten. Frei nach dem Motto "Jeder Mensch ein Künstler" wurde die Tatsache der künstlerischen Unfreiheit im Nachstecken vorgegebener Motive ignoriert. Dieses Prinzip macht sich Mister Ministeck zu Eigen: seine Vorlagen sind dabei zum Großteil Icons aus der Welt des Computers, deren digitalen Bildpunkte in poppig-bunte Ministeck-Bilder umgesetzt werden. So wird etwa in der Serie "Touchscreens", die nach Screenshots von C 64-Spielen entstand, die Pixelstruktur der ersten Homecomputer der 1980er Jahre in Plastiksteinchen materialisiert. Indem Bayer den digitalen Bildaufbau der Vorlagen in die analoge Form des Ministecks bringt, führt er beide Bild gebenden Verfahren auf ihre ureigenen Bedingungen und Strukturen zurück.
(Silke Albrecht)

KünstlerInnen / AutorInnen

  • Mister Ministeck: Norbert Bayer

Entstehung

Deutschland, 1999

Kommentar

Mister Ministeck (Norbert Bayer) präsentierte in der Ausstellung GAMES folgende Serien:

Tetris Advanced, 2000, 4-teilige Serie, je 67 x 60 cm; Live Forever, 2003, 3-teilige Serie, je 67 x 60 cm; TouchScreens, 1999 - 2001, Serie, je 33 x 26 cm.

Eingabe des Beitrags

, 13.04.2004

Kategorie

  • künstlerische Arbeit

Schlagworte

  • Themen:
    • Medienkunst

Kontext

Theorie / Forschung

Rohes oder Gekochtes:
der pixel turn des Mr. Ministeck

von Prof. Dr. Ursula Panhans-Bühler,
Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der Kunsthochschule Kassel


Norbert Bayer, in seiner künstlerischen Praxis Mr. Ministeck, hat die metaphysische Frage, 'was steckt hinter den Bildern', die in der Zirkulationssphäre der Kunst immer noch zu bedeutungsträchtigen Augenerweiterungen führt, mit jener coolen Trockenheit ad acta gelegt, die häufig den Vorgang begleitet, wenn man aus abgründigen Tiefen etwas an die Oberfläche fischt. In der digital-virtuellen Sphäre verhalten sich die Modalitäten von push and pull normalerweise so, dass man sich zwar beispielsweise 'etwas aus dem Netz zieht', aber dann wird es schnell zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen push and pull - noch ehe man sich versieht, ist man von einem Geflimmer von Begehrensmasken umgarnt. Es ist, als fände beständig ein unmerklicher Subjektwechsel statt, spürbar an der Vertauschung der Rollen von push and pull.

Mit seiner Pixelstrategie hat Norbert Bayer dem eine einfache, scheinbar nostalgische und zugleich verblüffende Wendung gegeben. So wie Kinder oder Clowns Worte beim Ding nehmen, trifft seine 'digitale Pixelei' gleich alle Pixel mit dreifacher Klatsche. 1. dreht er den Vorgang um: aus pull wird push - die Plastikpixel eines modisch-trivialen Zeitvertreibs der 60er, 70er und frühen 80er Jahre werden in das Plastik-Raster gedrückt, um dort ein Bild zu ergeben, der Autor wird zum Pixelpusher. 2. Das Digitale der mathematisch-numerischen Pixel wird beim dinglichen Wortreferenten genommen, den digites, deren Fingerdruck, wenngleich mühsam, die Urpixel einer ersten Plastikzeit in die luftigen Löcher treibt. Und 3. wird auf nonchalante Weise das offene Geheimnis der heute meist perfekten Interface-Oberflächen, ihre Pixelzusammensetzung, noch einmal, aber nun vergröbernd, entschleiert; die Ministeck-Pixel bringen es eben nicht feiner.

Dass bei diesem Shift zwischen virtual und real die Bilder der virtuellen Welten nicht fehlen dürfen, vielmehr die Gelenkstelle bilden, kennzeichnet jenen Jump, mit dem Norbert Bayer sich vom Recycling der Kinderstuben seiner Generation absetzte, ohne den Charme der Faszinationen jener Zeit zu verraten. "Die frühen Jahre" nannte er mit kauzigem Understatement eine 'Retrospektive', die er im letzten Herbst im Kasseler Fridericianum im Rahmen der Ausstellung "Kassel am Meer" einrichtete. Man konnte da nicht nur seine frühen "TouchScreens" sehen, Ministecks von Screenshots der Computerspiele der ersten Generation, sondern auch einige seiner ingeniösesten konzeptuellen Ministeck-Einfälle: den Splashscreen von Adobe Photoshop 5.0, mittels der Auswechslung von zwei Buchstaben umgetauft zu "splashspleen", und eine exakte digitale’ Übersetzung: "wieviel Saft" - analog-digitale Pixel "kann man aus einer" - elektronisch-digital - "ausgepressten Zitrone quetschen?", um Norbert Bayer zu paraphrasieren. Und der Künstler gibt selbst die Antwort als mathematisch präzisen Beweis: 1:1 - 60512 Pixel, selbst wenn ihm dies 4 Wochen harte Arbeit eintrug, dem Ministeck-Hardware Bild aber zugleich die endgültigen Ausmaße vorschrieb, 203,5 x 52cm. Auf einem Sockel stand aber auch noch einmal jener verrückt programmatische Einfall, den Bildschirm eines ausrangierten Computers mit Ministecks zuzupixeln: Auf himbeerrotem Grund erschien das Werkzeug dieses verbrecherischen Akts in effigie, ein vergrößertes Ministeckpixel in dramatisch perspektivischer Projektion, die die Richtung des Angriffs eindrucksvoll demonstrierte.

Man kann daher Norbert Bayer mit der Erfindung eines Concept-Pop, oder vielleicht besser einer PopConcept-Art belasten und wird sich erinnern, dass es zwischen Concept Art und Pop Art häufig einen Streit wie zwischen Fasching und Fasten gegeben hatte, zwischen high versus low, poor oder dirty, intellectual oder trivial, seriös oder funny, East Coast gegen West Coast, oder eben wie zwischen dem Rohen und dem Gekochten. Aber Widersprüche werden eben manchmal beseitigt, indem man einfach beides für sich nutzt, und so ist es vielleicht interessanter, darauf hinzuweisen, wie viel Bildwelten die Siebdruck-Ästhetik eines Warhol geprägt hat, obwohl die Technik als solche nicht neu war. Und so werden sich die handfesten Pixel von Mr. Ministeck vielleicht wie eine Radikalkur in ephemere Seelen von Consolencowboys eingraben, bevor deren Computer ihre Last mit zunehmender Beschleunigung doch noch abwerfen, selbst wenn die Sprachregelung einstweilen Rechner und nicht Reiter abstürzen lässt. Norbert Bayer bewegt sich einstweilen zu auf 3D, wieder in einer handfesten Form, aber diesmal tierisch mit Tatzen - ein Auftrag, den Berliner Bären zu bepixeln, der vor dem Reichstag aufgestellt werden soll.


www.misterministeck.com - die neue Website von Norbert Bayer bietet nicht nur einen Überblick über seine künstlerischen Aktivitäten, sondern ist zugleich eine Fortführung der Ministeck-Pixel in die grafische Gestaltung der Oberflächen in Schrift und Bild. Das Flash Programm erlaubt zudem eine äußerst elegante Ökonomie der Oberflächenerscheinung und eine dosierte Navigation durch die vielfältigen Angebote und Informationen. Auch wenn hier die Ministeck-Pixel in die elektronisch-virtuellen re-importiert werden, tragen sie vielleicht dazu bei, materielle Grundlage und elektronische Minimierung, die Differenz von beidem schärfer zu sehen. Denkt man zurück an Norbert Bayers Projekt "Analogue eats digital", so könnte einem die berühmte Geschichte von dem kleinen Jungen einfallen, der einer Schlange, die seine Suppe schlürft, mit dem Löffel auf den Kopf haut und sagt: "Ding, iss auch Brocken."

Sommer 2002

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