Carina Fornara, Christiane Steitz, Barbara Schydlo-Bücher, …

Tinguely trifft Fischli-Weiss

Eine Unterrichtseinheit für die Jahrgangsstufe 9 im Rahmen des Projektes "MuSe-Computer"

Prozessfotos des Projektes "Tinguely trifft Fischli-Weiss"

Prozessfotos des Projektes "Tinguely trifft Fischli-Weiss"

Content Description

PROJEKTGENESE

Den ersten Kontakt mit kinetischen Plastiken bekamen die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Kunstunterrichts mit den Mobiles von Alexander Calder, die sie eigener Praxis gestalterisch nachvollzogen.
Im folgenden Schuljahr stellten die Schülerinnen innerhalb des Polytechnikunterrichts durch Jean Tinguely inspirierte handbetriebene "Maschinen" her, die visuelle Effekte verursachten.
Mit "Klangmaschinen", also Maschinen, die Klänge oder Geräusche produzierten, beschäftigte sich eine andere Schülergruppe ebenfalls innerhalb des Polytechnikunterrichts.
Anregung und Impuls für die letztendliche Realisation eines Mix von analoger und digitaler Prozesssteuerung bekamen die SchülerInnen unter anderem durch den Film "Der Lauf der Dinge" von Peter Fischli und David Weiss. Dieselben Schülerinnen, die zuvor handbetriebene, mechanische Maschinen entwarfen und bauten, sollten nun computergesteuerte Varianten bauen und programmieren, die ebenfalls Klänge und Geräusche verursachten. Durch eine vom Computer ausgelöste Kettenreaktion fällt eine an einer Schnur befestigte Kugel in ein Glas und bringt dieses zum Klingen.
Im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft installierten SchülerInnen der 9. Klasse in einer Physik- und Kunst-Kooperation eine "dramatische" computergesteuerte Kettenreaktion, bei der Gegenstände aus der Kunst (z. B. Gipsfinger) und Technik (z. B. Computer-Maus) in Bewegung versetzt und zum Teil auch zerstört wurden.
Ein Video zeigt Stationen der Vorbereitung und der abschließenden Vorführung.

PROJEKTREALISATION

Das Thema des Projektes lautete "Die vier Elemente". Feuer, Erde, Wasser und Luft sollten als inhaltlicher Bezug in den Objekten der Schüler auftauchen. Des Weiteren diente der Videofilm "Der Lauf der Dinge" des Schweizer Künstlerteams Fischli/Weiss als Anregungsmaterial. Im Film ist eine 30-minütige Kettenreaktion aus unterschiedlichen Materialien zu sehen, wobei sich die Gegenstände spielerisch und risikoreich in einer Art Domino-Effekt nacheinander durch Umfallen, Anzünden, Zusammenbrechen zum Ausführen weiterer Aktionen anstoßen.
Als Basis wurden wie in den vorherigen Projektphasen von den Schülern aus dem Stecksystem Fischertechnik sowie passenden Getrieben und Motoren und weiteren analogen Materialien kinetische Objekte gestaltet. Diese Objekte wurden per Computerprogrammierung in ihren Bewegungen gesteuert. Inspiriert durch die künstlerische Herangehensweise von Fischli/Weiss setzten die Teams ebenfalls eine Kettenreaktion gestalterisch um, indem sie die Objekte so bauten, dass diese die Programmierung des nächsten Computers auslösten, der wiederum das angeschossene folgende Objekt steuerte. So wurden alle fünf Einzelprojekte der Kleingruppen miteinander verbunden.
Aus dem Kunstunterricht brachten die Schüler bereits bestehende Exponate in das Projekt ein.
Die aus dem interdisziplinären Unterricht hervorgegangene Kettenreaktion der Schüler wurde am Tag der Offenen Tür der Schule der Öffentlichkeit präsentiert und vorgeführt.
Bei der Evaluation dieses Projektes kommt der wissenschaftliche Begleiter Michael Schacht unter anderem zu folgenden Ergebnissen:
- Die Schüler entwickeln eine ästhetische Sensibilität für die Gestaltung der von ihnen gebauten Objekte. Stand im voran gegangenen Unterricht noch die technische Machbarkeit und nicht das Design der "Maschinen" im Vordergrund, so legen die Schüler nun, angeregt durch die Künstler-Vorbilder, mehr Wert auf das Äußere, verkleiden die Fischertechnik-Gerüste und setzen dazu Naturmaterialien, wie z.B. Laub, kontrastierend zu den technischen Elementen ein.
- Im Vergleich zum herkömmlichen Polytechnik-Unterricht nutzen die Schüler deutlich mehr Hardware auf subversive Weise. So werden beispielsweise Tastatureingaben per herabfallender Eisenkugel ausgelöst oder eine Computermaus mit Wasser übergossen. Die Schüler entwickeln über diesen unkonventionellen Umgang mit den Schnittstellen eine ironische Distanz zu den digitalen Geräten, die ansonsten pfleglich behandelt werden müssen, empfindlich und teuer sind und leicht beschädigt werden können.
- Die Umsetzung der Kettenreaktion fordert die Fähigkeiten der Schüler heraus, die analogen, kinetischen Objekte mit dem Computer zu verbinden. Dieses Vorgehen ist neu und wurde bisher nicht genutzt. Ein einzelnes Werk (gemeint: die im Video "Der Lauf der Dinge" von Fischli / Weiss gezeigte Installation) wurde variiert und in modifizierter Form den Möglichkeiten der Schüler und den zeitlichen Umständen entsprechend im Unterricht umgesetzt. Hierbei hatte die Materialnutzung im Video deutlichen Anregungscharakter, ebenso die teilweise zerstörerischen Elemente, die mit Feuer oder einstürzenden Bauteilen verbunden waren.
- Der Domino-Effekt der Kettenreaktion glückt nur, wenn alle Einzelprojekte funktionieren. Die Verbindung der Teams ist eine neue Erfahrung für die Schüler, die daraufhin eine Verantwortlichkeit nicht nur für die eigene Tätigkeit innerhalb ihrer Kleingruppe entwickeln, sondern sich auch verstärkt um das Zusammenspiel mit den anderen Teams kümmern. Die Jugendlichen erleben eine intensive Gruppenerfahrung, die ihren Ursprung in einem Kunstwerk hat.
- Der in erster Linie auf Funktionalität ausgerichtete Polytechnikunterricht profitiert von den Anregungen der Kunstlehrerin, die die gestalterischen Wünsche der Schüler aufgreift und fördert.