Gabriele Blome, Jasminko Novak

Der Kampf der Vermittler um "intellectual property"

netzspannung.org im Gespräch mit den Rechtswissenschaftlern Herbert Burkert und Thomas Hoeren

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Inhaltliche Beschreibung

In der Diskussion um das Copyright im Zeitalter der elektronischen Reproduzierbarkeit arbeitet die Industrie an eigenen Lösungen. Mit der Entwicklung technischer Sperrmechanismen treten "Access Rights" an die Stelle des Urheberrechts. Über den politischen Kontext dieser Entwicklung sprach netzspannung.org mit den Rechtswissenschaftlern Herbert Burkert und Thomas Hoeren.

netzspannung.org: Um Urheber- und Nutzungsrechte hat sich eine Diskussion entfacht, die weit über die Fachkreise hinausgeht. Die Rechte der Autoren scheinen dabei jedoch nicht im Mittelpunkt zu stehen.

Herbert Burkert: Es geht in der Tat um etwas anderes: Spitzwegs armer Poet, der wegen Internet und Digitalisierung keine Einkünfte mehr hat, um sein Dach zu flicken oder sich endlich einen PC anzuschaffen, ist ein rührendes Bild. Man ruft es gern aus dem kollektiven Unterbewusstsein wach, um sich emotionale Anteilnahme für seine Argumente zu sichern. Worum es eigentlich geht, sind die großen Verteilungsflüsse; oder - um es im Jargon zu sagen - um die Zukunft des "return-on-investment" in der "content"-Branche. Man braucht die Herbeirufung des Autors, denn die Inhaltsvermittler stehen - wie Fassbinders "Händler der vier Jahreszeiten" - in einer Sinnkrise.

Das Netz ist - was Austauschprodukte angeht - "end-to-end" und "peer-to-peer". Vermittler können nicht mehr unmittelbar am vermittelten Produkt partizipieren. Sie müssen ihre Vermittlungsleistung aus dem Produkt herausnehmen, irgendwie sichtbar machen, wertvoll erscheinen lassen und hoffen, dass der Markt diesen Wert anerkennt. Sie müssen Zusatznutzen schaffen, Gemeinschaften bilden. So entbehrt es nicht der Ironie, dass der "digitale" Bertelsmann nun das Konzept auflegt, mit dem er groß geworden ist: Er versucht sich mit einem Klub, dem Napster-Klub.

Umstellung schafft aber vor allem Unsicherheit, Unsicherheit schafft Angst und Angst führt zu Überreaktionen - das ist die Situation des heutigen Urheberrechts. Die technische Entwicklung hat die alten, zu Urheberrecht gefrorenen, politischen Kompromisse aufgetaut; die Verteilungskämpfe können neu beginnen. Dabei greift man dann gelegentlich auf den "Autor" zurück: Der könne jetzt dank Informationstechnik seine Rechte an jedem einzelnen digitalen Produkt viel genauer verfolgen. Jede einzelne Kopie eines solchen Produktes wird gekennzeichnet. Und die Kennung wird bis zum Einzelverbrauch verfolgt - so wie man das jetzt beim Rindfleisch vorhat. Das sind die so genannten "Copyright-Management-Systeme".

Dabei geht es natürlich nicht um Transparenz für den Verbraucher, sondern um die Transparenz des Verbrauchs. Denn - so geht die Argumentation weiter - es entfällt jetzt auch die Rechtfertigung für die Privatkopie; dieses Recht sei ja ohnehin nur ein Kompromiss gewesen, weil die Überwachung des privaten Verbrauchs zu aufwendig gewesen sei. Das ist hervorragend: Man verteidigt den Autor - wer hat schon etwas gegen Autoren? Man zeigt sich auf der Höhe des technischen Fortschritts und meint, gleich solche "Altlasten" wie Privatsphäre und Allgemeininteressen entsorgen zu können. Der Schlusssatz folgt dann meist etwas leiser: Die Nutzung dieser Rechteverwaltungssysteme ist natürlich für den einzelnen Autor viel zu unwirtschaftlich, das müssen die alten Vermittler tun. Also weiter wie bisher - nur besser.

Wie stellt sich die Frage des Urheberrechts für kollaborative Arbeitsformen? Im medienkünstlerischen Bereich findet man beispielsweise folgende Konstellation: Bei der Produktion von interaktiven Umgebungen oder von Projekten, die Interaktion im Netz und vor Ort verbinden, ist in aller Regel ein Team von Leuten involviert. Dabei gibt es zwei Arbeitsformen. In einigen Projekten setzen Programmierer die fertigen Konzepte der Künstler um, sie sind also die Realisierer. In anderen Projekten arbeiten Programmierer bereits bei der Entwicklung des Konzepts mit den Künstlern zusammen. Bestimmte Künstler wollen das im Sinne einer gemeinsamen Autorenschaft anerkennen. Die Frage ist, inwieweit sich diese Arbeitsformen im Kontext neuer Medien in der Diskussion um das Copyright widerspiegeln?

Burkert: Was sich vor allem widerspiegelt ist die Lösung: Alle Rechte gehen an den, der das Geld für diese schönen neuen Arbeitsformen zur Verfügung stellt; der Investor legt den Verteilungsschlüssel fest, er zahlt aus und wenn das Ergebnis besonders erfolgreich war, gibt es vielleicht einen Nachschlag. Vielleicht gelingt es ja über die Zeit dem einen oder anderen aus dem "Team", wenn er oder sie genügend Aufmerksamkeit im Netz für sich generieren konnte, den Verteilungsschlüssel zu verbessern und selber zum Investor zu werden. Das ist nicht neu: Für den Film hat das Urheberrecht schon vor Jahrzehnten diese Lösung vorbereitet. Das ist genau der Trend, auf den weitere Veränderungen im Urheberrecht auch für das Netz hinauslaufen. Es geht nicht mehr um Werke oder geistige Schöpfungen.

Jetzt müssen Investitionszyklen gesichert werden. Ein Beispiel sind die Schutzregeln für Datenbanken. Datenbanken - Faktendatenbanken etwa - die keine geistige Leistung darstellen, waren nicht urheberrechtlich geschützt. Jetzt bekommen sie einen urheberrechtsähnlichen Schutz, wenn nur genügend in ihren Aufbau investiert wurde. Es geht also nicht mehr um die geistige Leistung, sondern es geht um die Investition. Diese Investitionen haben damit eine werkähnliche Aura erhalten.

Um nicht missverstanden zu werden: Hier geht es nicht um sentimentale Trauergesten aus der digitalen Welt hinüber in die alte. Man sollte aber klar sehen, was sich abspielt und klar sagen, was zu sehen ist. Den "Autor", den "Schöpfer", den "Künstler" aufs Schild zu heben klingt gut. Wie ernst es professionellen Vermittlern gelegentlich damit ist, sieht man bei den Verteilungskämpfen um Leistungen zur Künstlersozialversicherung oder beim europäischen Streit um das so genannte Folgerecht, also um die Frage, inwieweit Künstler an der Weiterveräußerung ihrer Werke durch den Kunsthandel beteiligt werden sollen. Da geht es dann auf einmal um Wettbewerbsfähigkeit.

Kurz: Der Begriff des Autors verdeckt hier, darüber nachzudenken, worum es eigentlich immer ging -: "To promote the Progress of Science and useful Arts, by securing for limited Times to Authors and Inventors the exclusive Right to their respective Writings and Discoveries", wie es in der U.S.-amerikanischen Verfassung so schön heißt.

Inwiefern verstehen Sie als Jurist netzspannung.org als eine Plattform, um neue Formen kollaborativer Produktion zu erproben?

Burkert: Man kann Erprobungsszenarien durchspielen. Dafür entwirft man Regeln, wie man sich in einer kollaborativer Produktion zueinander verhalten sollte. Nach einer Erprobungsphase entwickelt man aus den Regeln und Erfahrungen Vertragstexte. Diese müssen sich in einer weiteren Erprobung vor allem bei der Lösung von Konflikten bewähren, damit man die Verträge nicht vor Gericht bringen muss. Wie beim Arzt liegt die vornehmste Aufgabe des Juristen darin, das zu verhindern, wozu er gebraucht wird. Dann ist auch nicht auszuschließen, dass solche Verhaltensformen einmal jenseits von einzeln ausgehandelten Verträgen zur Gestaltung gesetzlicher Normen beitragen.

Können Sie das anhand eines Beispiels ausführen?
Burkert: Mit jedem dieser Kooperationsmodelle, die Sie hier ins Netz bringen, zwingen Sie die Künstlerinnen und Künstler dazu, darüber nachzudenken, wie mit so genannten digitalem Eigentum umgegangen wird und darüber auch miteinander - und so wie Sie jetzt - mit anderen zu reden, Wünsche und Realität abzugleichen. Durch die Vielzahl der Nachdenkenden verändert sich Bewusstsein. Auch unter den Juristen artikuliert sich zunehmend Unzufriedenheit mit dem, was ein Jurist einmal - sicher etwas übertrieben - "urheberrechtliche Angstbeißerei" genannt hat. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des genannten Verfassungszitats hat sich in den USA die Diskussion schon seit längerem etwas offener gezeigt.

In welche Richtung wird sich Ihrer Ansicht nach die Diskussion um das Copyright entwickeln?

Hoeren: Eine Gefahr sehe ich darin, dass wir Juristen ganz schlichtweg überflüssig werden. Wenn die großen Unternehmen wie Sony und andere dazu übergehen, die Computer zuzumachen, d.h., einfach an Bestimmungen für den privaten Kopiergebrauch vorbei technische Sperren installieren und das in Brüssel legitimiert bekommen, dann werden wir überflüssig. Sony, Bertelsmann und andere werden sich im Global Business-Dialog zusammenfinden und werden ihre technische Vision durchsetzen.

Burkert: Ich würde darauf setzen, dass dann dieser technischen Wirklichkeit eine andere technische Wirklichkeit entgegengesetzt wird und dass dann wieder Konflikte entstehen, die letztlich politisch ausgetragen und in rechtliche Regelungen überführt werden müssen.

Hoeren: Auf der anderen Seite beobachten wir, dass man Bitströme nicht kontrollieren kann. Das heißt, die Leute machen die Computer zu, aber auf der anderen Seite haben wir ein Internet, das von seinen historischen Wurzeln her unkontrollierbar ist, das nur aus Bitströmen besteht, die Sie nicht "sezieren" können.

Das heißt, wenn wir wirklich so eine Art Science Fiction zeichnen wollen, haben wir einen Kampf - nicht mehr Juristen gegen Techniker, sozusagen um Werte, sondern ganz einfach Techno-Regulierer gegen Hacker. Das sind zwei Gegenwelten: die Community der Hacker gegen diejenigen mit den Access Rights; Jeremy Rifkin hat dazu ein Buch geschrieben: "The Access Right". Er hat festgestellt, dass solche Konstruktionen wie Eigentum- und Urheberrechte eigentlich überholt sind und durch technische Sperrmechanismen ersetzt werden, die über Access operieren.

Ein einfaches Beispiel ist Napster: Es spielt gar keine Rolle, was man bei Napster gefunden hat, ob das urheberrechtlich geschütztes Material ist oder der Gesang der Callas in einer längst gemeinfreien Aufnahme - Sie werden dafür bezahlen müssen. Das ist Access Right. Die Weichenstellungen dafür wurden gerade in Brüssel gemacht. Die verabschiedete Richtlinie über das Urheberrecht ist eine Katastrophe. Durch ein harmloses "may" anstelle eines "shall" in einer bestimmten Regulierung wurde unglaublich versteckt der Schutz dieser technischen Sperrmechanismen durchgesetzt.

Was wir also erleben ist: Eigentum verschwindet, Urheberrecht verschwindet. An die Stelle tritt der Schutz technischer Sperrmechanismen und dadurch entstehen Access Rights. Das ist eine neue Kategorie abseits von Urheberrecht und Eigentum und wird auf technischem Gebiet ausgefochten. Ich glaube, dass wir Juristen da nichts mehr mit zu tun haben werden.

Was gebraucht würde, wäre demnach die Rolle eines Vermittlers zwischen den von dem Technologie-Player kommenden Wünschen und denen der anderen, die Sie soziale Gegenbewegung nennen. So ein Regulator könnte ja theoretisch die EU sein. Sie behaupten aber, dass die Aktivitäten der EU in diesem Bereich von denen ausgehen, die die Technologie entwickeln. Das heißt, im Moment gibt es den sozialen Regulator oder den Gegensatz nicht.

Burkert: Ich will nicht ausschließen, dass es - auch etwa in der Europäischen Kommission, die solche Regelungspakete initiiert hat, aber nicht abschließend entscheidet - Stimmen des Ausgleichs gegeben hat und gibt. Aber es geht um Interessen, es geht um Macht zur Durchsetzung dieser Interessen; der Kampf um das Urheberrecht hat zu den umfangreichsten Lobbyistenaktivitäten geführt, die das Europäische Parlament bisher erlebt hat.

Interessant ist übrigens zu beobachten, dass technische Entwicklungen und damit einhergehende Veränderungen auch neue Spieler auf die Bühne der Auseinandersetzung bringen, früher etwa die Tonbandgerätehersteller und heute die Zugangsprovider, die dann zu durchaus politisch mächtigen Verbündeten für Vorstellungen werden können, die man schon untergegangen glaubte, wenn auch solche Koalitionen nicht idealistisch motiviert sind. Diese jeweils neuen Spieler sehen dann Urheberrechtsprobleme schon einmal differenzierter, vor allem wenn man sie zur Haftung oder doch zur Mithaftung heranziehen will, weil von den anderen finanziell weniger zu erwarten ist. Nicht zuletzt durch das Wirken solcher Gegeninteressen werden sich, so hoffe ich, Überentwicklungen - allerdings nicht ohne gesellschaftliche Kosten - wieder zurück entwickeln.

Sie entwickeln gerade ein Konzept für ein "Competence Center for Internet Policy". Könnten Sie kurz erläutern, warum ein solches Kompetenzzentrum wichtig ist?

Burkert: Ja, wir sind dabei, aus unserer NETSOC-Gruppe [1] heraus im Rahmen des Instituts für Medienkommunikation in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Informationsrecht an der Universität St. Gallen ein Kompetenzzentrum auszubauen. Der Grund liegt auf der Hand: Es gibt Unsicherheit gegenüber neuen Entwicklungen, die im Zusammenhang mit dem Internet auftauchen - "Internet" hier als Sammelbegriff gebraucht. Diese Unsicherheit erfasst die traditionellen Gestalter in, wie es immer so schön heißt, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Unsicherheit mit der Unsicherheit verhindert aber auch die Beteiligung neuer Gestalter und behindert die Entwicklung einer kritischen Öffentlichkeit. Dabei geht es auch um einen etwas genaueren Blick auf das, was geschieht. Die Themen - Internet und Meinungsfreiheit, Internet und Vertrauen, Internet und Demokratie, Internet und individuelle und nationale Identität, Internet und Wissen - zeigen das Internet als eine Projektionsfläche unserer Gegenwartskultur; diese Themen erreichen unmittelbar die Feuilletons, ohne dass man sie einer intensiveren Recherche für Wert hält - siehe etwa die ICANN [2].-Wahlen. Unerfüllte Träume von Weltdemokratie und Weltregierung schienen ein Gesicht zu bekommen, und noch dazu ein deutsches. Da ging es dann nicht mehr um den politischen Gehalt technischer Standardisierung und reale Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungsprozesse über Kommunikationsressourcen. Angesichts der Magie der "Weltwahl" interessierte nicht mehr, wozu und mit welcher Verantwortung gegenüber wem.

Daneben geht es um Verständnismodelle, die entwickelt und ausgetauscht werden müssen. Gruppen, die zu Netzpolitik oder auch zu Netzrecht arbeiten, gibt es schon. Es geht nicht darum, noch so eine Gruppe in die Welt zu setzen. Aber diese Gruppen sind Inseln. Aufgrund unserer Nähe zur informationstechnischen Grundlagenforschung in der GMD, aber auch aufgrund unserer langjährigen, vor allem auch internationalen Erfahrung im Rechts- und Politikbereich von Information und Kommunikation können wir solche Angebote bewerten.

Wir können Angebot und Bedarf zusammenführen, Lücken gezielt abdecken lassen und uns auch unmittelbar am Austausch beteiligen. So können wir eine jener neuen Vermittlungsleistungen übernehmen, von denen ich eingangs gesprochen hatte. Zurzeit etwa entwickeln wir auf diese Weise zusammen mit anderen ein Bewertungs- und Handlungsmuster zur künftigen Gestaltung von ICANN. Auch bezüglich der angesprochenen Urheberrechtsfragen denken wir daran, Diskussionen über alternative Modelle zusammenzuführen und öffentlich anschaulich zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch.